Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vom Himmel das Helle

Vom Himmel das Helle

Titel: Vom Himmel das Helle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
Vom Netzwerk:
wissen. »Mein Vater!«, gab ich Auskunft, als müsse er nach der Information automatisch wissen, welche Konflikte dahinter steckten, welche Qual und welches schlechte Gewissen, obwohl ich mich im Recht wähnte. Wahrscheinlich neigte jede Tochter dazu, es dem Vater recht machen zu wollen. Vor allem, wenn er nicht mehr jung, sondern auf Hilfe angewiesen war. Natürlich wurde genau das mit Vehemenz von meinem Vater abgestritten. »Mit Mitte siebzig braucht man noch keine Hilfe«, hätte er zur Antwort gegeben und seinen halbherzigen Schwindel noch nicht mal bemerkt. »Tut mir leid, ich bin sofort wieder bei dir. Gib mir eine Minute«, meinte ich zu Frank.
    »Was wollte er denn?« Er schien sich um seinen Job an Almut Lohmanns Seite am liebsten drücken zu wollen. »Den starken Mann markieren«, erklärte ich.
    »Aha.« Frank grinste und zog mich hinter sich her, zurück in Almuts Schlafzimmer, das sicher der Größe meiner gesamten Wohnung entsprach.
    Als Psychologin wusste ich, dass es sich bei meinem Tun um die Aufschiebung der Erfassung unangenehmer Informationen handelte. Ich grübelte herum und verglich die Größe meiner Mietwohnung mit dem Schlafzimmer von Almut. Anstatt brisante Informationen in Erfahrung zu bringen, die mich dem Mord an Friedrich Lohmann und der Misshandlung seiner Frau näher brachten. Mord war eine Tatsache, die mich auch heute noch beunruhigen und belasten konnte. Irgendwo in mir drin war ich nicht nur die Psychologin mit Kenntnissen der Neurologie und Psychiatrie, sondern einfach nur Lea Einsiedel. Eine Frau, die sich vieles vorstellen, manches verkraften, aber nicht alles verarbeiten und schon gar nicht verstehen konnte.

Zehn

    Ich hatte Frank und Norma gebeten, das Zimmer zu verlassen, um mit Almut allein sein zu können. Eine Weile saß ich auf ihrer Bettkante, nachdem sie mir dieses körperliche Näherkommen weiterhin gestattet hatte, und blickte mit ihr gemeinsam aus dem Fenster. In den sanftblau getönten Himmel, an dem Vögel hier und da für schwarze Tupfer sorgten. Eine kleine Aufgeregtheit im ansonsten unspektakulären Bild. Ich spürte, wie mein Atem trotz allem gleichmäßig ging. Einatmen bis in den Bauch hinunter, dann dieser kleine, kaum wahrnehmbare Moment des Nichts, bevor es rückwärts wieder ans Ausatmen ging. Ein, aus. Immer wieder dasselbe. Ich ließ die Zeit verstreichen und hielt mich zurück, irgendetwas zu sagen. Vielleicht fing Almut ja als Erste an zu reden, um mir anzuvertrauen, dass sie mich nun erkannte. Sah sie endlich die kleine, gedrungene Lea vor sich, die in Schulzeiten zwar nie am Rand gestanden hatte, aber auch nicht bis zur Mitte, ins Zentrum des Geschehens, vorgedrungen war? Das Zentrum war stets Almut gewesen. Sie hatte die Rolle der Herrscherin perfekt ausgefüllt. Würde es mir helfen, wenn sie sich meiner erinnerte? Oft war erinnern gleichbedeutend mit jemandem vertrauen und das wäre mir recht, denn so könnte ich diesen Fall leichter lösen.
    Die umschwärmte Almut und Lea Einsiedel, ich, die damals kaum wahrgenommen worden war, saßen so nah beisammen, wie noch nie zuvor. Wie oft hatte ich mir gewünscht, einmal einen Nachmittag mit Almut zu verbringen. Vielleicht sogar ihre Freundin zu werden. Jetzt hatte sich alles umgekehrt. Nicht ich würde durch sie profitieren, weil man durch einen umschwärmten Menschen nun mal aufgewertet wurde, diesmal war Almut auf mich angewiesen. Ein seltsamer Schwenk des Schicksals.
    Nach einer Weile fing Almut tatsächlich als Erste an zu sprechen. So, wie ich es erhofft hatte. Sie sagte: »Bringen wir’s hinter uns. Was wollen Sie wissen?« Ich spürte, dass sie nervös war. Ihre Pupillen weiteten sich und auch sonst wirkte jede noch so kleine Bewegung fahrig. Ich nahm es ihr nicht übel. Nach allem, was sie durchgestanden hatte, war es verständlich, aufgeregt zu sein.
    »Frau Lohmann«, ich zögerte kurz, »oder darf ich Almut sagen?« Ich legte meine Hand ein wenig näher an ihre, geradeso, dass wir einander nicht berührten. Ich wusste, wie heikel der Sicherheitsabstand zwischen Menschen war. Den durfte man auf keinen Fall überstrapazieren. Trotzdem wollte ich signalisieren, dass ich bei ihr war, ganz nahe, und doch weit genug entfernt, um ihre Identität zu schützen. Das war das erste Sondieren, das Entree.
    »Von mir aus. Nennen Sie mich Almut! Ich hab nichts dagegen«, stimmte sie halbherzig zu. »Ich heiße Lea. Lea Einsiedel. Aber Lea reicht«, stellte ich mich ein weiteres Mal vor. Es war der

Weitere Kostenlose Bücher