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Vom Himmel das Helle

Vom Himmel das Helle

Titel: Vom Himmel das Helle Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Gabriele Diechler
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gegenüberzutreten.
    Als ich sie diesmal sah, war ihr Kopf fast vollständig hinter Mullbinden verschwunden, denn die Wunden verteilten sich großflächig über das ganze Gesicht. Auch an Hals und Oberkörper fanden sich welche, die vor einer Infektion geschützt werden mussten. Insgesamt machte sie den Eindruck eines gebrochenen Menschen.
    Sie erkannte mich auch diesmal nicht. Zumindest hatte es ganz den Anschein. Frank war bei ihr, doch sie ignorierte ihn. Er stand still neben ihrem Bett, darauf hoffend, dass, wenn ich dazustöße, wenigstens ich eine Reaktion auslösen könnte.
    Ich vermutete inzwischen, dass sie mich damals, als wir Schülerinnen waren, nicht wahrgenommen hatte. Meinen Namen musste sie allerdings gehört haben, denn ich war oft deswegen aufgezogen worden: Lea, die Einsiedlerin. Geh zurück zu deinen verstaubten Büchern. Ab ins Schneckenhaus . Ich hörte es noch heute. Dass Almut nicht stutzig geworden war, als ich mich ihr vorgestellt hatte, überraschte mich.
    Ich kam näher und registrierte, dass ihre Hände nervös über die dünne Bettdecke huschten. Ich setzte mich neben sie und blieb einen Moment still sitzen. Mir kam es vor, als müsse sie sich beschäftigen oder als versuche sie, gegen den Reflex anzukämpfen, sich an den Wunden zu kratzen. Ich gab ihr Zeit, sich zu beruhigen, auch wenn Frank neben uns ungeduldig hin und her zu gehen begann.
    Jede halbwegs anständig ausgebildete Psychologin hütet sich vor den Tücken des Mitleids. Mitgefühl dagegen gilt als ein Pluspunkt auf dem Konto ›emotionale Intelligenz‹. Ich wusste, dass ich hier viel zu tun hatte. Ohne meine fachliche Unterstützung würde Frank schnell an eine Grenze geraten, an eine hohe Mauer stoßen, für deren Überwindung er nicht entsprechend ausgerüstet war. Almuts Pflegerin Norma Thata, eine Schwarzafrikanerin, scharwenzelte die ganze Zeit um sie herum, um ihr jeden Wunsch von den Augen abzulesen. Kaum war ich in Almuts Schlafzimmer getreten, da klingelte schon mein Handy. Ich entschuldigte mich, nickte Frank kurz zu und ging hinaus auf den weitläufigen Gang, der von der Größe her in etwa meinem Wohnzimmer entsprach.
    »Lea?« Mein Vater! Ich hatte geahnt, dass er keinen Frieden gab. »Mit der Sahne stimmt was nicht. Ich will sie mit dem Quirl schlagen, damit der Mixer nicht schmutzig wird, aber entweder machen meine Handgelenke nicht mehr mit, was eigentlich nicht der Fall sein kann, oder die Sahne ist schlecht, obwohl sie laut Datum auf dem Deckel noch in Ordnung sein müsste.« Er schnalzte mit der Zunge und mir wurde übel. Mein Vater hatte immer noch den Bogen raus und schaffte es, mich mit einem einzigen Anruf auf die Palme zu bringen.
    »Und wie kann ich dir von hier aus helfen, außer dir zuzuhören, obwohl ich eigentlich keine Zeit und auch keinen Grund dazu habe?«, warf ich ein. Ich war darum bemüht, nicht ins Unfreundliche abzudriften, aber es gelang mir natürlich nicht.
    »Ich dachte, du hättest vielleicht einen Tipp, wie ich es doch noch schaffe, Schlagsahne zum Kuchen zustande zu bringen.«
    »Kauf neue!«, schlug ich vor.
    »Und wo soll ich hingehen?«, quengelte er.
    »Plus, Edeka, Aldi oder irgendein Feinkostladen. Such’s dir aus.«
    »Glaubst du, ich hab Lust, quer durch die Straßen zu zigeunern auf dem Weg nach einem Becher Sahne?«, warf mein Vater mir vor. Er bemerkte, dass er zu weit gegangen war und ruderte zurück. Wesentlich freundlicher sagte er: »Wo befindet sich denn der nächste Supermarkt?«
    »Geh aus dem Haus und bieg dreimal rechts ab und dann einmal links. Circa zwei Kilometer. Dann stehst du davor.«
    »Zu Fuß?« Langsam fing ich innerlich an zu kochen. »Mein Wagen ist in der Inspektion«, teilte er mir mit. Als könnte ich etwas dafür. »Nimm ein Taxi. Du kannst es dir leisten.« Offenbar musste ich ihn sogar an das Naheliegendste erinnern. Ich legte auf und kniff die Augen zusammen. Wie lange hatte mein Vater meine Mutter auf diese und ähnliche Weis als Dienstbotin missbraucht? Zeit ihres Lebens. Und jetzt schien seiner Meinung nach ich dran zu sein. Sobald ich wieder zu Hause war, musste ich ernsthaft mit ihm sprechen und eines klarstellen. Ich hatte ein Eigenleben und bestand auch darauf. Und wenn er sich nicht schleunigst daran gewöhnte, würde er meine Wohnung schneller wieder verlassen, als der Müll in meinem Abfalleimer in die Tonne vorm Haus gelangt.
    Frank kam aus der Tür und sah auffordernd zu mir rüber. »Alles klar?«, wollte er mit heiserer Stimme

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