Vom Himmel das Helle
letzte Versuch noch eine Erinnerung in ihr loszutreten. Als keine Reaktion ihrerseits kam, sprach ich weiter. »Ich bin Notfallpsychologin. Aber das wissen Sie ja schon. Nach meinem Studium hab ich mich eine Weile der Neurologie und der Psychiatrie gewidmet, bevor ich mich entschloss, bei der Aufklärung von Verbrechen zu helfen. Seitdem unterstütze ich Hauptkommissar Kastein bei seinen Ermittlungen.« Ich seufzte, während Almut unbeweglich dasaß. »Immer, wenn es um sensible Fälle geht, werde ich hinzugezogen. Ich möchte betonen, dass nichts geschehen wird, absolut nichts, womit Sie nicht einverstanden sind, Almut. Ab jetzt bilden wir ein Team. Eins, das gemeinsam und behutsam herausfinden wird, was geschehen ist und noch geschehen wird. Wir werden uns in dem Tempo, dem Sie zustimmen können, dem Geschehen widmen, das Ihr Leben berührt hat. Das, was mit Ihrem Mann passiert ist. Das was Ihnen passiert ist.«
»Mein Mann ist ermordet worden und ich wurde zum Tier degradiert. Das ist geschehen. Lohnt nicht der Mühe es noch mal hervorzuholen.« Almut presste ihren Atem heraus, als würde sie daran ersticken. »Ich weiß nicht, wie man das behutsam angeht. Da war nichts Behutsames dabei, als geschah, was geschah. Da waren nur Mord und körperliche und seelische Vergewaltigung. Es braucht nicht unbedingt einen Penis, der einem mit Gewalt reingesteckt wird, um sich vergewaltigt zu fühlen. Ich wurde an jeder Stelle meines Körpers misshandelt. Jeder, die Sie sehen.«
»Und auch an einer, die ich nicht sehe, an Ihrer Seele«, fügte ich hinzu. Almut drehte den Kopf weg und starrte aus dem Fenster. Sie war eine Festung, die ich nicht einnehmen konnte.
»Es war also ein Mann, der Ihnen das angetan hat, Almut?«, begann ich vorsichtig mit der Befragung.
»Hab ich das gesagt?« Sie fuhr sich mit der weniger verletzten Hand, der linken, ins Gesicht und stöhnte dabei auf. Ich spürte, dass ich noch behutsamer als bisher vorgehen musste. Oft nützte es, wenn man ein Detail aus dem eigenen Privatleben preisgab. Das schaffte einen Puffer und unterbrach entspannend schwierige Gespräche. Es ermöglichte durchzuschnaufen, bevor man den nächsten, heiklen Punkt anging.
»Natürlich kenne ich solche Belastungen, wie Sie sie erlebt haben, nur aus beruflicher Sicht. Allerdings erlebe ich privat auch gerade etwas, mit dem ich den Umgang erst lernen muss. Mein Vater ist bei mir eingezogen. Er ist weit über siebzig und bestreitet natürlich, dass er einsam ist und Hilfe oder auch nur Unterhaltung braucht. Wir müssen erst einen Weg zueinander finden. Einen, der es jedem von uns ermöglicht, ordentlich weiterzuleben.« Ich machte eine Pause und musste lachen, bevor ich weitersprach. »Manchmal frage ich mich, weshalb man erwachsen wird, sich abnabelt, wenn all das wenig später wieder von vorne losgeht. Nur diesmal andersherum. Wir übernehmen die Elternrolle und unsere Mutter und unser Vater die der Kinder.« Almut hatte mir mit undurchdringlicher Miene zugehört, erwiderte aber nichts auf meine Worte. Also entschied ich mich weiterzusprechen. »Ich will Ihnen helfen, Almut. Ich möchte, dass Sie das, was hinter Ihnen liegt, dieses schreckliche Erlebnis, nicht Ihr ganzes restliches Leben mit sich herumtragen. Wie einen Rucksack, der zu schwer für Ihre zarten Schultern ist. Und ich möchte, dass derjenige, der Ihnen das angetan hat, die Verantwortung dafür übernimmt.« Ich seufzte. »Sehen Sie mich als eine Art Mutter oder Vater, die oder der versucht Sie von etwas zu säubern, das sie beschmutzt hat.«
»Davon hab ich nichts mehr.« Almuts Körper geriet in Bewegung. Sie wand sich im Bett, als könne sie es nicht länger darin aushalten. Ich legte meine Hand auf ihre und sah sie direkt an. Sie erwiderte meinen Blick, bevor sie ihn mir wieder entzog. Man konnte es ruhig als eine Art Kräftemessen bezeichnen, was zwischen uns stattfand.
»Es beruhigt, wenn Sie wissen, dass niemand anderem das zustoßen kann, was Ihnen zugestoßen ist. Nicht von dem Täter, der sich an Ihnen vergriffen hat.«
»Hören Sie auf, mich wie ein Opfer zu behandeln. Ich bin keins mehr, seit ich aus diesem verdammten Schrank befreit wurde. Mein Mann ist tot und ich bin verwundet, verletzt, demoliert. Aber ich lebe. Mit keinem einzigen Gedanken werde ich mich der Vergangenheit widmen. Scheiße, aber mir ist egal, ob jemand gefasst und bestraft wird. Mir geht’s nur noch um mich. Verstanden?« Eins stand fest. Almut hatte nichts von ihrer Präsenz
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