Vom Himmel das Helle
Eine Frau und ein Geist ohne Körper. Wie sollte das gehen? Es war Irrsinn.
Ich riss mich aus meinen sinnlosen Gedanken über Mark, denn sie brachten mich nur in Aufruhr und suchte weiter die Bücher der Lohmanns ab. Bald hatte ich Erfolg. Hinter einer Biografie über Churchill fand ich einen ledergebundenen Band mit dem Titel: Die spektakulärsten Kriminalfälle der Geschichte, Teil 1. Ich nahm das Buch heraus, scannte in fieberhafter Eile die einzelnen Kapitel und schluckte schwer, als ich fand, was ich nicht gesucht, mir aber trotzdem erhofft hatte zu finden. Kapitel fünf. Zwanzig Seiten Aufwand für eine seltsame Geschichte: die, der deutschstämmigen Walburga »Dolly« Österreich, die aufgrund ihres Dachboden-Liebhabers in den USA zu zweifelhaftem Ruhm gekommen war. Dolly hatte ihren jüngeren Liebhaber, ehemals Angestellter ihres Mannes, über zehn Jahre auf den Dachböden ihrer wechselnden Häuser versteckt. Zu dritt hatte man, wissentlich von Dollys Seite und unwissentlich von ihres Mannes Seite aus, einträchtig miteinander gelebt, war jeweils zu dritt umgezogen, hatte sich wieder neu in den jeweiligen Salons, Bibliotheken und dem Dachboden eingerichtet und dem Leben seinen Lauf gelassen. Doch eines Tages stritt Dolly so heftig mit ihrem Mann, dass der Liebhaber ihr zur Hilfe eilte. Mit wenigen Schüssen streckte er den Ehemann nieder. Man täuschte geistesgegenwärtig einen Einbruch vor. Der Liebhaber, kein Beau, sondern ein schmächtiges, unauffälliges Kerlchen, das Dolly an ihren viel zu früh verstorbenen Sohn erinnerte, sperrte seine Geliebte in einen Schrank und warf den Schlüssel weg. Die Polizei ermittelte fieberhaft, kam aber nicht dahinter, was wirklich vorgefallen war. Und so konnte Dolly die Witwe spielen, die ihren wohlhabenden Mann beerbte. Der weitere Verlauf ihres Lebens hielt die Spannung, denn es sollte nicht bei einem Liebhaber bleiben, es folgten weitere. Außerdem hatte Dolly Glück und bewies Geschick. Sie wurde nie zur Rechenschaft gezogen, denn bis man die Wahrheit entdeckte, war die Tat längst verjährt. Aber dieser Punkt zählte ohnehin nicht, zumindest für mich nicht.
Almut kannte die Story des Dachboden-Liebhabers. Das war das Entscheidende. Vielleicht war sie sogar darauf verfallen, Teile von Dollys Schicksal zu verwenden? Was läge also näher, als das Haus, klugerweise ohne Almuts Zustimmung und ihr Wissen, gründlich zu durchsuchen?
Vierundzwanzig
Ich hätte das Buch, das Dolly Österreichs Leben in Kurzform beinhaltete, auf Almuts Bett schmeißen können. Eine verfrühte Trophäe oder ein kurz ausgekosteter Bonuspunkt. Doch was hätte es mir gebracht außer einem egolastigen Gefühl von Überlegenheit? Folglich entschied ich mich dagegen, stellte es zurück an seinen Platz, ging mit gespieltem Nichtahnen im Gesicht hinauf in den ersten Stock und betrat nach einem bestimmt klingenden Klopfen Almuts Zimmer. Ihr Kopf, seit unserem letzten Treffen von der Bandage befreit, bildete einen struppigen Fleck vor dem Kopfkissen. Sie lag da wie in einem Bilderrahmen. Die angeschlagene Frau. Ihr Gesicht sah schlackig grau aus, irgendwie wie abgestandene Seifenlauge, und war an einigen Stellen noch immer blaurot unterlaufen. Ich nahm erneut ihre dünnen, zarten Knochen unterm gespannten Fleisch hindurch wahr. Sie schienen regelrecht hindurch. Sie sah, obwohl es ihr besser ging, ungepflegter aus als zuletzt. Irgendwie ausgelaugt. Ihr Leben war in den letzten Tagen zu einem Nichts zerronnen und ihr Körper spiegelte dies wieder. Er schien an einigen Stellen sichtlich zu verblassen.
»Entschuldigen Sie, Frau Lohmann.« Ich vermied es, sie beim Vornamen anzusprechen. Diese Annäherung war vertan. »Mein Besuch lässt sich nicht nur nicht vermeiden, er ist dringend notwendig. Privat respektiere ich Ihren Wunsch, mich nicht sehen zu wollen, beruflich kann ihn nicht gelten lassen. Deshalb möchte ich Ihnen in aller Freundlichkeit und mit allem Respekt mitteilen, dass ich nicht länger Rücksicht nehme. Wir müssen anfangen, Licht in die Sache zu bringen, den Tod Ihres Mannes und natürlich Ihre Misshandlungen betreffend. Erste entscheidende Frage: Wie kam der Täter ins Haus?«
Almut schluckte vermutlich einen Gebirgssee an Speichel hinunter. Ihr Blick wechselte von gehetzt zu arrogant und schließlich zurück ins Unschuldig-Naive. Sie wusste nicht, wie ihr geschah. Ich sah, wie ihr einen Moment die Röte den Hals hinaufkroch. Es sah aus wie eine feindliche Übernahme. So bestimmt
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