Vom Himmel hoch
früher …«, begann Sørensen stockend seinen Bericht. Dann erzählte
er von der Arbeit und dem Betriebsklima. Er unterbrach seine Ausführungen und
nahm einen Schluck Kaffee zu sich.
»Der Mann war ein Wolf im Schafspelz. Der hat sich auf
leisen Sohlen an die Menschen angeschlichen, sich verstellt, und wenn sie sich
ihm offenbart hatten, dann schlug er zu. Unbarmherzig. Unerbittlich. Der kannte
keine Gnade. Er war ein Mörder. Der hat eiskalt die Seelen getötet.«
Er sah Christoph aus großen Augen an, fast fragend,
als erwarte er eine Bestätigung für seine Ausführungen. Doch die beiden
Polizisten schwiegen.
»So ging das nicht mehr weiter. Der Wolf musste
verschwinden, um im Bild zu bleiben. Er hätte sonst uns alle gerissen. Deshalb
habe ich mich auf die Jagd begeben. Ich hatte beschlossen, den Wolf zu
erlegen.«
Er atmete tief durch.
»Ja, so ist es«, erklärte er dann.
»Und wie ist die Tat abgelaufen?«, wollte Christoph
wissen.
»Das war nicht sehr schwierig. Als Banzer betrunken
war und die Kontrolle über sein Handeln verloren hatte, habe ich ihn in mein
Auto gesetzt und bin zum Betrieb gefahren. Es war schon spät. Das Gewitter
hatte sich am Horizont bereits bemerkbar gemacht. Es war aber noch nicht über
Bredstedt. Wie fast alle anderen Angestellten habe auch ich die Schlüssel zum
Büro. Der Hausmeister, das war uns allen bekannt, schloss aus Faulheit fast nie
den Schlüsselschrank ab, sodass ich mir problemlos die Fahrzeugschlüssel für
den Hubwagen besorgen konnte. Banzer hat das Ganze mitbekommen, fand aber den
kleinen Ausflug mit dem Lkw unheimlich spaßig. Trotz seiner Trunkenheit hat er
sich amüsiert, wie ich es nie zuvor bei ihm erlebt hatte. Fast schien er mir
ein wenig sympathisch. Doch dann machte er eine Bemerkung, die mich wieder
darin bestärkte, meinen Plan in die Tat umzusetzen.«
»Was hat er gesagt?«, fragte Große Jäger.
»Er lachte dreckig, richtig dreckig, und lallte, dass
die kleine Spritztour mit dem Hubwagen noch lustiger wäre, wenn die Weiber –
ja, er sprach von Weibern – aus unserem Betrieb dabei wären. Er hätte jetzt
Lust zu bumsen.«
Sørensen hielt inne, als müsse er das eben
Ausgesprochene selbst erst verdauen.
Dann sah er seine Mutter an, die ihm aufmunternd
zunickte.
»Ich hatte zwar nicht so viel getrunken wie Banzer,
aber es war mehr, als gut für mich war. Das hat mich sicher auch enthemmt.
Inzwischen hatte es angefangen zu regnen. Es war ein heftiger Regen, den das
Gewitter mitgebracht hatte. Die Blitze zuckten, die dunklen Wolken jagten am
Himmel entlang, und der ohrenbetäubende Donner machte jede Unterhaltung
unmöglich. Bei diesem Wetter war keine Menschenseele auf der Straße. So bin ich
mit dem Wagen ins Stadtzentrum gefahren, habe am Markt geparkt und die
Seitenstützen ausgefahren. Banzer fand das herrlich. Für ihn war das ein
ausgemachtes Vergnügen. Ohne jeden Argwohn ist er mit in die Arbeitsbühne
gestiegen.«
Sørensen unterbrach erneut seinen Bericht. Mitten in
die Stille hinein schlug der tiefe melodische Gong der Standuhr, die mit ihrem
gleichmäßigen Ticken das bisherige Geständnis begleitet hatte.
Nachdem der letzte Schlag verklungen war, fuhr
Sørensen mit seiner Erzählung fort.
»Wir standen dort oben im strömenden Regen. Das Wasser
lief uns in den Kragen hinein, über uns das Inferno des Gewitters. Das alles
schien Banzer in keiner Weise zu stören. Er machte einen gelösten Eindruck.
Dann habe ich meinen Arm freundschaftlich um seine Schulter gelegt und ihn über
das Geländer gedrückt.«
Sørensen hielt einen Moment inne, bevor er
weitersprach.
»Komisch«, sagte er leise, »es war viel einfacher, als
man es vermuten könnte. Er hat nicht den geringsten Widerstand geleistet.
Einfach … so. Er hat sich ohne jede Gegenwehr einfach über das Geländer drücken
lassen.«
Erneut unterbrach er, schluckte heftig.
Besorgt sah ihn seine Mutter an, aber er winkte ab.
»Danke, Mam, es geht schon. Ich muss da durch.«
Dann wandte er sich wieder an Christoph.
»Ich traute mich gar nicht, nach unten zu sehen. Vom
Sturz habe ich nicht viel mitbekommen. Auch gehört hat man nichts. Kaum etwas.
Der Aufprall. Aber der war erstaunlich leise.«
Seine Augen weiteten sich jetzt. Als würde er eine
Anklage loswerden wollen, hatte er die Stimme erhoben.
»Keinen Ton hat er von sich gegeben. Nichts. Kein
Schrei! Kein Protest! Absolut nichts. Er ist ganz still gestorben.«
Sie schwiegen eine ganze Weile, bis Christoph
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