Vom Himmel hoch
Bemühungen, Schönborn
zu helfen, ihn von seiner Tat abzuhalten, waren vergeblich gewesen. Ich hatte
den Kampf um ein menschliches Leben verloren.«
Er atmete tief durch.
»Doch dann versuchte ich, rational zu denken. Wenn ich
auch bis hierher versagt hatte, so wollte ich doch etwas für seine
Hinterbliebenen tun. Ich hatte davon gehört, dass bei Selbstmord der Anspruch
auf die Lebensversicherung entfällt. Das wollte ich verhindern, damit zumindest
der Familie noch etwas bleiben sollte. So habe ich die Rasierklinge, die seiner
Hand entfallen war, vom Boden aufgehoben und mitgenommen. Ich habe sie dann in
irgendeinen Abfallbehälter geworfen. Ich kann nicht einmal mehr genau sagen,
wo.«
Christoph hatte Ähnliches vermutet. Er hatte dem
Pastor von Anfang an keinen Mord zugetraut. Der Mann hätte auch kein
erkennbares Motiv gehabt.
Einen kleinen Hinweis hatte er im Bericht der
Spurensicherung gefunden. Dort war vermerkt gewesen, dass neben dem
blutverschmierten Rasierspiegel ein weiterer kleiner Fleck mit Schönborns Blut
gefunden worden war. Das war die Stelle, an der das Tatwerkzeug auf die Fliesen
gefallen war.
Christoph erinnerte sich, dass Schönborn vor vielen
Jahren als Sanitäter seinen Wehrdienst absolviert hatte. Aus dieser Zeit war
ihm vielleicht in Erinnerung geblieben, dass eine Verletzung der Halsschlagader
schwieriger zu stoppen war als am Puls. Außerdem war bei einem Längsschnitt die
fatale Erfolgswahrscheinlichkeit größer.
Den Spiegel, den sie gefunden hatten, benötigte
Schönborn zum exakten Führen der Rasierklinge.
Da der Tote üblicherweise einen Trockenrasierer
benutzte, hatte er extra für den geplanten Selbstmord das Päckchen Klingen
gekauft, von dem sie den Rest im Badezimmerschrank gefunden hatten.
Ein weiteres Anzeichen dafür, dass Schönborn kein
normales Bad geplant hatte, war zweifellos auch, dass er mit einer Badehose
bekleidet war. Er war also davon ausgegangen, dass ihn Fremde finden würden,
denen er sich im Tod nicht unbekleidet offenbaren wollte.
Komisch, dachte Christoph, was einem in die Enge
getriebenen Verzweifelten als letzter Gedanke durch den Kopf geht.
Und um die letzte Hemmschwelle zu überschreiten, hatte
sich Schönborn zuvor mit den Medikamenten, deren Spuren sie bei der
toxikologischen Untersuchung gefunden hatten, ruhig gestellt.
»Ich fürchte, so ganz ungeschoren werden Sie nicht
davonkommen«, gab Christoph zu bedenken. »Haben Sie nie daran gedacht, dass Sie
mit Ihrer Handlung möglicherweise den Verdacht auf einen Unschuldigen lenken
könnten?«
Pastor Hansen nickte. Ihm war klar, dass er sich
töricht verhalten hatte. Gleichzeitig schien er aber froh, diese drückende Last
mit seiner Aussage abgeworfen zu haben.
»Das ist mir erst später aufgegangen. Wie Sie gestern
schon richtig sagten, brauchte ich nur Zeit, damit die Witwe Schönborns ihre
Angelegenheiten regeln konnte. Dann hätte ich mich zu meiner Tat bekannt. Ich
hatte nicht damit gerechnet, dass Sie mir so schnell auf die Schliche kommen
würden.«
Er sah dankbar seine Frau an. Ihre Hand, die seine
ergriffen hatte, schien ihm Zuversicht zu vermitteln.
Rubina Hansen lächelte ihm zu. Es war die Art der
Verständigung, die nur zwei miteinander vertrauten Partnern gelingt.
Dann blickte sie Christoph an. »Wissen Sie eigentlich
um die Bedeutung des Vornamens meines Mannes?«, fragte sie.
Christoph schüttelte den Kopf.
»Frode«, erklärte sie, »ist altgermanisch und heute
noch im Norden, vornehmlich in Norwegen, verbreitet. Es heißt ›der Kluge‹.« Sie
strich ihrem Mann über das Haar. »Ich glaube, bei der Namenswahl haben meine
Schwiegereltern einen großen Fehler begangen.«
Damit hatten sie den mysteriösen zweiten Todesfall
geklärt, insbesondere waren jetzt die Zusammenhänge zwischen den beiden Fällen
aufgezeigt. Die zeitliche Nähe war reiner Zufall gewesen.
Wenig später erreichte sie noch eine weitere
Nachricht.
Das Labor bestätigte, dass die Schleifspuren an
Banzers Kleidung vom Geländer des Hubwagens stammten. Lediglich die
Fingerabdrücke, die sie im Fahrzeug gefunden hatten, konnten noch nicht
zugeordnet werden.
*
Mommsen hatte Frode Hansen die Fingerabdrücke abgenommen.
Dann waren der Pastor und seine Frau gegangen.
Große Jäger lehnte sich in seinem Bürostuhl zurück,
bis das Möbel mit einem Knarzen anzeigte, dass die Belastungsgrenze erreicht
war.
»Manchmal finde ich es gut, dass du der Boss bist.«
Der Oberkommissar grinste und zeigte dabei
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