Vom Himmel hoch
lassen, trotzdem konnte Christoph
das Gefühl nicht unterdrücken, dass Doris Landwehr zumindest eine Ahnung vom
Zweck ihres Besuches hatte.
»Er ist heute nicht da. Hat sich krankgemeldet«, las
er die Notiz der Frau. Darunter war eine Adresse vermerkt, die um die
Zusatzangaben »Eltern« ergänzt war.
»Es ist wichtig, dass Sie dies alles für sich
behalten«, belehrte Christoph sie, doch Doris Landwehr nickte nur stumm.
»Nur so kurz? Und so schnell wieder weg? Zu wem
wollten Sie denn?«, überfiel sie der Hausmeister, der an Christophs Wagen
gewartet hatte.
Christoph überließ die Antwort seinem Kollegen.
»Du mich auch …«, knurrte Große Jäger und ließ den
Mann stehen.
Während der Fahrt tauschten sie ihre Eindrücke aus,
die sie bei ihrem kurzen Besuch im Betrieb gewonnen hatten.
Die Frau, in diesem Punkt stimmten sie überein, hatte
übermäßig viel Betroffenheit gezeigt.
Die gesuchte Adresse lag in Tønders Uldgade, einer
ruhigen Seitenstraße der Altstadt.
Das rund gefahrene Kopfsteinpflaster und die mit
schmalen Ziegelbändern belegten Fußwege passten hervorragend zu den niedrigen
Häusern, die mit ihrem pastellfarbenen Anstrich insgesamt einen sauberen und
gepflegten Eindruck machten.
Das Haus, vor dem sie hielten, war in einem zarten
Blau gehalten. Zwischen den kleinen Fenstern mit den Butzenscheiben zierten
Rosenstöcke die Hausfront.
Der helle Gong, den Große Jäger mit Betätigung des
Klingelknopfes in Betrieb gesetzt hatte, dröhnte klangvoll durch das ganze
Haus.
Ein Schatten näherte sich von innen der Haustür aus
geriffeltem Glas. Kurz darauf öffnete ihnen eine hoch gewachsene schlanke Frau
die Tür. Ihr stufiger blonder Kurzhaarschnitt und die große dunkle Hornbrille
passten hervorragend zu ihrem fein geschnittenen Gesicht.
Nur die zahlreichen Falten im sonnengebräunten Antlitz
verrieten, dass die Frau jenseits der sechzig sein musste.
Bevor Christoph sich und Große Jäger vorstellen
konnte, sagte die Frau: »Guten Tag. Sie kommen von der Polizei. Mein Sohn und
ich erwarten Sie schon. Bitte treten Sie doch ein.«
Sie folgten der Frau ins niedrige Wohnzimmer, von dem
aus sie die Straße überblicken konnten. Man hatte ihr Kommen also registriert.
Auf dem Sofa saß Anders Sørensen. Er begrüßte sie
freundlich, erhob sich und reichte erst Christoph, dann dem Oberkommissar die
Hand.
»Bitte nehmen Sie doch Platz«, sagte er, während seine
Mutter sich an einem Vitrinenschrank zu schaffen machte und zwei Gedecke
herausholte. Wortlos richtete sie diese vor den beiden Beamten aus.
»Der Kaffee ist bereits fertig«, erklärte sie, »und
Kuchen ist reichlich vorhanden.«
Christoph bemerkte, dass er die beiden bei der
Kaffeetafel überrascht hatte.
Die Mutter füllte zwei Tassen voll und schnitt von
einem länglichen Kuchen, der auf einer Platte auf dem Tisch lag, zwei Streifen
ab.
Der mit Zuckerguss überzogene und mit Mandelsplittern
und Rosinen bespickte Kuchen sah sehr süß aus. Er sollte sich beim Probieren
als noch süßer erweisen.
Der »Kaffe«, den man hier nur mit einem »e« schrieb,
hatte den für Dänemark typischen Geschmack von scharf gerösteten Bohnen.
Christoph trank ihn landestypisch schwarz, während Große Jäger um die Zutaten
für den »Kaffee schwäbisch« bat. Das Attribut »schwäbisch« bedeutete, dass in
das Gebräu alles an Zutaten hineingeschüttet wurde, was nicht extra kostet.
Es war fast wie bei einem Höflichkeitsbesuch.
Die vier Personen aßen schweigend, nur vom
gelegentlichen Klappern der Tassen unterbrochen, wenn diese auf die Untertasse
zurückgestellt wurden.
Schließlich ergriff die Mutter das Wort.
»Es ist gut so«, eröffnete sie das Gespräch und sah
ihren Sohn an, der nickte.
»Das finde ich auch. Ich bin jetzt richtiggehend
erleichtert. Ich hätte mich in Kürze selbst gestellt. Wie sind Sie auf mich
gekommen?«
»Die entscheidende Frage war, wer mit Banzer am Mordtag
getrunken hatte. Und nach unseren Untersuchungen blieben nur Sie übrig. Ihr
Alibi war gelogen. Sie haben …«
»Ich weiß«, unterbrach ihn Sørensen, »am besten ist,
ich erzähle Ihnen die ganze Geschichte. Meine Mutter weiß übrigens Bescheid.
Ich musste mich einem Menschen anvertrauen. Und das konnten nur meine Eltern
sein.« Dabei streifte sein Blick die Mutter.
»Schön«, sagte Christoph und akzeptierte die Gegenwart
der Frau, die noch einmal Kaffee nachschenkte.
»Es hatte wirklich Spaß gemacht, in diesem Unternehmen
zu arbeiten,
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