Vom Himmel hoch
unaufgefordert die Verteidigung
seines Nachbarn.
»Ich möchte nur wissen, wo Davor Bardolic ist.« Der
Oberkommissar bemühte sich, möglichst keine Ungeduld zu zeigen. »Er ist heute
den ganzen Tag noch nicht gesehen worden.«
»Hat Urlaub«, klärte ihn sein Gegenüber auf.
»Schön«, stöhnte Große Jäger, »das ist mir auch
bekannt. Aber wo ist er hin? Ist er zum Baden an die Nordsee gefahren? Macht er
Einkäufe in Dänemark?«
»Nix Dänemark. Nur haben Erlaubnis für Deutschland.
Nicht erlaubt zu gehen über Grenze.«
»Auch gut. Ist er mit seinem Auto weggefahren?«
»Davor nix Auto. Immer fleißig. Sparen Geld für
Familie. Nicht gehen aus, nix Frauen. Immer nur Arbeit. Viel Arbeit«, wurde er
belehrt.
Unerwartet bot der Nachbar ihm plötzlich Hilfe an.
»Ich haben Schlüssel. Du wollen gucken in Davors Wohnung?«
Dieser Versuchung konnte Große Jäger nicht
widerstehen.
Der Mann tauchte in seine eigene Wohnung ab und kam
kurz darauf mit einem Schlüsselbund zurück. Er sperrte die Tür auf und folgte
dem Oberkommissar.
Die Wohnung war schlicht und nur mit dem
Allernötigsten eingerichtet. Sie machte einen gepflegten Eindruck. Die Küche
war sauber, das Bett gemacht.
Große Jäger öffnete den Kleiderschrank und stellte
fest, dass offensichtlich ein Teil der Kleidung fehlte. Ihm fiel auf, dass sich
in der Wohnung kaum Winterkleidung befand. Entweder war Bardolic ein zäher
Naturbursche, oder die wetterfeste Bekleidung fehlte. Und wenn er sie
mitgenommen hatte, dann lag sein Urlaubsziel nicht in der Nähe. Selbst in
Nordfriesland trug um diese Jahreszeit niemand dicke Pullover oder wattierte
Jacken. Ebenso wenig fand Große Jäger einen Koffer oder eine Reisetasche.
»Scheint, als wäre der Vogel vorübergehend
ausgeflogen«, brummte der Oberkommissar, was seinen Schatten zu der Frage
veranlasste: »Welche Vogel hat geflogen?«
Es sah wirklich so aus, als hätte Davor Bardolic eine
geplante Reise angetreten. Für einen überstürzten Abgang gab es keine
Anzeichen. Davon zeugte auch das kleine Bad, in dem die Utensilien fehlten, die
für den täglichen Gebrauch unerlässlich sind. Andere Dinge, die man nicht
unbedingt mit auf eine Reise nimmt, standen sauber im Regal.
Das Ganze passte zu der Information, die sie heute
Morgen im Betrieb erhalten hatten. Davor Bardolic hatte ordnungsgemäß Urlaub
eingereicht und diesen auch angetreten.
Es war nur ein merkwürdiges Zusammentreffen der
Ereignisse, dass ausgerechnet mit dem Urlaubsbeginn der Lkw gestohlen wurde,
für den der Mann als Stammfahrer eingeteilt war.
*
Als Nächstes wollte Große Jäger Banzers Wohnung
aufsuchen.
Er hatte Glück. Die Haustür war nur angelehnt, und in
der Wohnung waren zwei Beamte der Spurensicherung tätig. Er erklärte ihnen,
dass er nach speziellen Unterlagen über den Lkw suchen würde. Die beruflichen
Papiere würden im Wohnzimmer auf einem Sideboard liegen, verriet ihm einer der
Kriminaltechniker. Er könne sich dort frei bewegen. Mit dem Raum seien sie
schon fertig.
Große Jäger fand die Unterlagen, die er suchte, sehr
schnell. Sauber zusammengestellt hatte Banzer Kopien von Geschäftsvorgängen auf
mehreren Stapeln abgelegt.
Zu Ausschreibungsunterlagen, Kontrollrechnungen und
Mitarbeiterbeurteilungen hatte er Randnotizen angefertigt.
»Angebot zu günstig! Marge hätte besser sein können«
las er auf der Durchschrift einer Auftragsbestätigung, die Roth unterschrieben
hatte. Auf einem anderen Papier mit der fett gedruckten Überschrift
»Ausschreibung« war der Vermerk »Auftrag nicht erhalten, da Fehlkalkulation«
angebracht.
Und so ging es munter weiter. Man musste kein Fachmann
dieser Branche sein, um zu erkennen, dass Banzer gezielt Material gesammelt
hatte, mit dem er Fehler seines Vorgesetzten beweisen wollte. Auch bedurfte es
keiner Phantasie, sich vorzustellen, wem diese Unterlagen vorgelegt werden
sollten. Dürkopp würde das mit Sicherheit als sehr spannende Lektüre aufnehmen.
Neben dem Tisch stand ein Notebook. Große Jäger
schaltete es ein. Er war erstaunt, dass der Rechner nicht durch ein Passwort
gesichert war.
Der Oberkommissar begnügte sich mit kurzen
Stichproben. Neben einigen Dateien mit eindeutig privatem Charakter, die aber
für die Ermittlungen nichts hergaben, fand er Spreadsheets mit endlosen
Zahlenkolonnen. Er verstand zu wenig von der Materie, aber es sah aus, als
hätte Banzer sein ganzes betriebswirtschaftliches Wissen in
Controllingaktivitäten gesteckt, die einzig dem
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