Vom Himmel in Die Traufe
linken Schulterblatt der Dame, also Ragnars, ruhen. Körperkontakt, äh, in der Zwerchfellgegend. Hermannis Füße sollten vor Beginn des Tanzes nebeneinanderstehen, mit dem Gewicht entweder auf dem linken oder dem rechten Fuß, abhängig davon, wie er drehen würde.
Dann folgte die schweißtreibende Phase. Hermanni musste im Walzertakt zählen: »Eins, zwei, drei …«, und im selben Takt je einen Schritt mit dem rechten Fuß nach vorn und mit dem linken zur Seite machen, dann schloss der rechte zum linken auf, der linke wurde rückwärts gesetzt, der rechte diagonal nach hinten, links schloss zu rechts auf …, verflixt …, rechts rückwärts, links seit, rechts schloss zu links auf, anschließend links vor, rechts seit und zum Schluss schloss noch links zu rechts auf. Das war erst mal nur eine Vierteldrehung, die die beiden eine ganze geschlagene Stunde lang übten, und an den folgenden Abenden ging es mit der Rechts- und der Linksdrehung weiter. Nach einer Woche Training folgten noch der rechte und der linke Wechselschritt. Hermanni Heiskari sagte sich, dass auch das Leben der Herren keineswegs immer leicht war.
Als der Oberst endlich mit den Walzerkünsten des Holzfällers zufrieden war, ging er zu den schwierigeren Paartänzen über. Sie begannen ernsthaft Tango zu trainieren. Hermanni war einst in jungen Jahren über die Dielen der Tanzbühnen geschlurft in dem Glauben, dass er Tango tanzte, aber erst jetzt begriff er, dass Tango nicht bedeutete, mit der Partnerin über das Parkett zu schleichen, die eigene schweißige Wange an ihre gedrückt, um in dunklen Ecken verstohlen zu versuchen, ihren Körper an sich zu pressen. Die Seitwärtsschritte des Tangos, die Drehungen und hauptsächlich der Wiegeschritt waren überraschend schwer zu lernen. Und erst die Promenade, geschlossen und geöffnet!
Im Laufe der Zeit brachte Ragnar seinem Schützling noch Cha-Cha-Cha, schließlich auch die temperamentvollen Tänze Samba und Rumba und zuletzt Quickstep bei. Darin war Hermanni ein Naturtalent. Der Tanz erinnerte ihn an das Abästen von Stämmen im vereisten Gelände, bei strengem Frost und im Akkord.
Ragnar Lundmark war als Lehrer unermüdlich, und Hermanni hatte oft das Gefühl, dass der Oberst die Tanzstunden sehr genoss, fast als wäre er die geborene Dame.
Es war ein anstrengender Herbst für Hermanni. Die Sprachstudien und die ewigen Tanzstunden zehrten an seinen Kräften. Kein Wunder, dass ihn manchmal das Bedürfnis überkam, die ganze Vornehmheit zu vergessen und sich unters Volk zu mischen, ein paar Bier zu trinken und mit besoffenen Engländern Blödsinn zu quatschen. Einmal, als Hermanni spätabends aus dem dörflichen Pub ins Hotel zurückkehrte, fiel ihm auf, dass auf der zweiten Etage, wo sie beide wohnten, neben Ragnar Lundmarks Tür zwei Paar Schuhe standen, die zum Putzen herausgestellt worden waren. Hermanni, ein wenig beduselt, dachte sich, aha, der Oberst hat eine Frau mit aufs Zimmer genommen, aber als er näher kam, sah er, dass dem nicht so war. Neben Ragnar Lundmarks Tür standen zwei Paar Herrenschuhe. Es dauerte eine Weile, ehe Hermanni begriff, was das bedeutete. Diskret und ohne Lärm zu verursachen schlich er in sein Zimmer und sagte sich, dass das Privatsache war und ihn nichts anging.
Als Hermanni am nächsten Tag aus der Sprachschule kam und zum Tanzunterricht antrat, erwartete er fast, dass Ragnar, der sehr ernst wirkte, über seine homosexuellen Neigungen sprechen würde, aber keineswegs. Den Butler beschäftigte sein Schicksal, das ihn erwartete, falls Hermannis Aufstandsplan wirklich realisiert würde. Ragnar vermutete, dass man ihn, falls der Aufstand niedergeschlagen würde, gefangen nehmen würde, hatte er doch einen großen Anteil an der Vorbereitung gehabt.
»Ich denke, dass mich ein hartes Schicksal erwartet. Zunächst verurteilt man mich natürlich vor dem Kriegsgericht zum Tode, aber weil ich immerhin Oberst bin, wird man mich vermutlich nicht auf der Stelle erschießen, sondern mir die Möglichkeit einräumen, vor dem Obersten Kriegsgericht Berufung gegen das Urteil einzulegen.«
Die Wartezeit würde er, so nahm er an, im Gefängnis von Katajanokka verbringen, und dann, vielleicht ein halbes Jahr später, würde man ihn in Santahamina erschießen und ihn ohne militärische Ehren in einer Sandkuhle begraben, zusammen mit vielen anderen Aufständischen.
Hermanni gab zu, dass es eventuell so kommen könnte, aber möglicherweise würde man Ragnar nicht durch
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