Vom Himmel in Die Traufe
dass sie sich anzuschließen gedachte. Sie berichtete, dass sie die Aktien ihrer Reederei realisiert und so die letzten Reste ihres Vermögens gerettet hatte. Die Speditionsfirma hatte neuerdings eine eigene Verwaltung, sodass sie, Lena, ungebunden war und ebenfalls in der Welt herumreisen konnte. Außerdem wollte sie gern mit Hermanni das Hochzeitsarrangement persönlich besprechen, sofern er denn noch zu der Sache stand.
Hermanni fand diese Lösung hervorragend, hatte er doch schon länger Sehnsucht nach seiner Braut. Es ist nun mal so, dass nicht mal ein fliegender Holzfäller auf lange Sicht ohne eine Frau an seiner Seite sein mag. Da hilft es auch nicht, wenn er einen fachkundigen Butler, einen alten Schwulen im Rang eines Oberst, bei sich hat.
Ragnar war bestürzt über Lenas Absichten. Als Hermanni sich darüber verwundert zeigte, knurrte der Oberst:
»Hast du vergessen, dass mein linkes Schienbein gebrochen sein müsste?«
Zweifellos würde Ragnars Bein zu einem Problem werden, da es nicht gebrochen und nicht mal eingegipst war. Lena würde eventuell ein höllisches Theater machen, wenn sie bemerkte, dass sie getäuscht worden war. Also musste rasch eine Lösung her, denn Lena hatte mitgeteilt, dass sie in zwei, drei Tagen in Lissabon eintreffen würde.
»Vielleicht sollte ich dein Bein durchbrechen«, bot Hermanni sich bereitwillig an, aber Ragnar fand das gar nicht lustig. Dann kamen sie auf die Idee, dass Doktor Sorjonen das Bein eingipsen könnte, für ihn, den erfahrenen Orthopäden, wäre das ein Kinderspiel. Lena würde den Betrug nicht merken, und die Männer brauchten keine Rache zu befürchten.
Am Abend, als Sorjonen von seiner Konferenz ins Hotel zurückkam, erzählten sie ihm, dass Lena Lundmark nach Portugal kommen wollte und es gäbe eine Katastrophe, wenn Ragnars Schwindel auffliegen würde. Die beiden konfrontierten den Doktor mit ihrem Rettungsplan: Wie wäre es, wenn er Ragnars Bein eingipste?
Darauf sagte Sorjonen, dass er bisher noch nie in die Verlegenheit gekommen war, nicht vorhandene Krankheiten zu heilen oder heile Gliedmaßen in Gips zu gießen, aber da er sich bereits in Tahiti auf den Schwindel der beiden eingelassen hatte, musste er wohl den Weg bis zu Ende gehen. Er notierte auf einem Zettel das erforderliche Zubehör – nicht ohne die Krücken zu vergessen – und schickte die beiden in die Apotheke. Dort kauften der Patient und sein Kumpan eine beträchtliche Menge Gips, Verbände und anderes, holten aus einem Geschäft für orthopädischen Bedarf vernickelte Krücken und begaben sich wieder ins Hotel und in Doktor Sorjonens Sprechstunde.
Der Doktor wies Ragnar an, die Hose auszuziehen und sich mit dem Rasierapparat die Wade zu rasieren. Eine Weile überlegten sie, welchen Unterschenkel er sich damals in Tahiti gebrochen hatte. Sie wählten den linken, ja, der war es gewesen. Sorjonen zog zunächst einen elastischen Strumpf über das Bein, befeuchtete die Gipsrollen und produzierte eine gewaltige Röhre, die von der Hüfte bis zu den Zehen reichte. Er verpackte das Bein zu einem dicken, unförmigen Klumpen, so wurde sichergestellt, dass der Knochen wieder richtig zusammenwuchs, erklärte er. Bei derart ernsten Frakturen durfte man nicht pfuschen, es war wichtig, die Verletzung richtig zu behandeln, zumal es sich um einen älteren Patienten handelte.
Hermanni Heiskari war derselben Meinung. Obwohl Ragnar an dem Gips wahrscheinlich schwer zu schleppen hätte, dürfte er nicht klagen.
»Die Gesundheit geht vor.«
Doktor Sorjonen erklärte, dass der Gips innerhalb einer halben Stunde trocknen würde, und danach dürfte Ragnar sich wieder bewegen. Als Sorjonen gegangen war, um auf der Konferenz seinen Vortrag zu halten, fing Ragnar an, mit den Krücken zu üben. Es war äußerst beschwerlich und wollte im Gedränge auf den Lissabonner Straßen nicht so recht klappen. So stieg er mit Hermanni denn am Nachmittag in den Bus, und gemeinsam fuhren sie in den am Nordrand der Stadt gelegenen weitläufigen Park, der dem Marquis Pombal gewidmet war und in dem Ragnar genug Platz hatte, die Rolle des Invaliden zu üben.
Auf dem Sportplatz am anderen Ende des großen Geländes wurde gerade mit viel Getöse ein chinesischer Zirkus aufgebaut, dort standen Trucks und Wohnwagen und viele riesige Zelte.
Hermanni vermutete, dass die auftretenden Künstler nicht wirklich Chinesen waren, aber auf entsprechende Nachfrage hieß es, doch, das seien sie, sie stammten ursprünglich aus
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