Vom Kriege
Folgen einflößen. Darum ist die geometrische Aufstellung der Streitkräfte ein so wesentlicher Faktor in dem Produkt.
Von allem dem hat die Strategie wegen der großen Räume und Zeiten nur einen schwachen Reflex. Man schießt nicht von einem Kriegstheater bis zum anderen, sondern es vergehen oft Wochen und Monate, ehe eine angelegte strategische Umgehung zur Wirklichkeit kommt. Ferner sind die [191] Räume so groß, daß die Wahrscheinlichkeit, zuletzt den rechten Punkt zu treffen, auch bei den besten Maßregeln sehr geringe bleibt.
In der Strategie ist also die Wirkung solcher Kombinationen, d. h. des geometrischen Elementes, viel geringer, und darum ist die Wirkung dessen, was man einstweilen faktisch auf einem Punkt errungen hat, viel größer. Dieser Vorteil hat Zeit, seine volle Wirkung zu äußern, ehe er von entgegengesetzten Besorgnissen darin gestört oder gar vernichtet wird. Wir scheuen uns daher nicht, es als eine ausgemachte Wahrheit anzusehen, daß es in der Strategie mehr auf die Anzahl und den Umfang siegreicher Gefechte ankomme, als auf die Form der großen Lineamente, in welcher sie zusammenhängen.
Gerade die umgekehrte Ansicht ist ein Lieblingsthema der neueren Theorie gewesen, weil man geglaubt hat, dadurch der Strategie eine größere Wichtigkeit zu geben. In der Strategie aber sah man wieder die höhere Funktion des Geistes, und so glaubte man den Krieg dadurch zu veredeln und, wie man vermöge einer neuen Substitution der Begriffe sagte, wissenschaftlicher zu machen. Wir halten es für einen Hauptnutzen einer vollständigen Theorie, solchen Verschrobenheiten ihr Ansehen zu benehmen, und da das geometrische Element die Hauptvorstellung ist, von welcher dieselbe auszugehen pflegt, so haben wir diesen Punkt ausdrücklich herausgehoben.
Sechzehntes Kapitel: Über den Stillstand im kriegerischen Akt
Wenn man den Krieg als einen Akt gegenseitiger Vernichtung ansieht, so muß man sich notwendigerweise beide Teile als im allgemeinen vorschreitend denken, zugleich aber muß man sich, was den jedesmaligen Augenblick betrifft, fast ebenso notwendigerweise den einen als abwartend und nur den anderen als vorschreitend denken, denn die Umstände werden niemals auf beiden Seiten völlig gleich sein oder sich völlig gleich bleiben. Es wird mit der Zeit ein Wechsel entstehen, woraus dann folgt, daß der gegenwärtige Augenblick dem einen günstiger ist als dem anderen. Setzt man nun bei beiden Feldherren eine vollkommene Kenntnis dieser Umstände voraus, so entspringt daraus für den einen ein Grund des Handelns, der dann zugleich für den anderen ein Grund des Abwartens wird. Es können also hiernach beide nicht zugleich das Interesse des Vorschreitens, aber auch nicht zugleich das Interesse des Abwartens haben. Dieses [192] gegenseitige Ausschließen desselben Zweckes ist hier nicht aus dem Grunde der allgemeinen Polarität hergeleitet und also kein Widerspruch gegen die Behauptung des fünften Kapitels des zweiten Buches, sondern rührt daher, daß hier für beide Feldherren wirklich dieselbe Sache Bestimmungsgrund wird, nämlich die Wahrscheinlichkeit einer Verbesserung oder Verschlimmerung ihrer Lage durch die Zukunft.
Ließe man aber auch die Möglichkeit einer völligen Gleichheit der Umstände in dieser Beziehung zu, oder nimmt man darauf Rücksicht, daß die mangelhafte Kenntnis der gegenseitigen Lagen beiden Feldherren es so erscheinen lassen kann, so hebt doch die Verschiedenheit der politischen Zwecke diese Möglichkeit eines Stillstandes auf. Einer der beiden Teile muß, politisch genommen, notwendig der Angreifende sein, weil aus gegenseitiger Verteídigungsabsicht kein Krieg entstehen kann. Der Angreifende aber hat den positiven Zweck, der Verteidiger einen bloß negativen; - jenem gebührt also das positive Handeln, denn nur dadurch kann er den positiven Zweck erreichen. Es wird also in den Fällen, wo beide Teile sich in ganz gleichen Umständen befinden, der Angreifende durch seinen positiven Zweck zum Handeln aufgefordert.
So ist also nach dieser Vorstellungsart ein Stillstand im kriegerischen Akt strenge genommen ein Widerspruch mit der Natur der Sache, weil beide Heere wie zwei feindliche Elemente einander unausgesetzt vertilgen müssen, so wie Feuer und Wasser sich nie ins Gleichgewicht setzen, sondern solange auf einander einwirken, bis eines ganz verschwunden ist. Was würde man von zwei Ringern sagen, die sich stundenlang umfaßt hielten, ohne eine Bewegung zu machen? Der
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