Vom Kriege
zusammenhängt.
Was wir hier ausmachen wollten, ist, daß, wenn in der Taktik die Streitkraft schon durch die bloße Dauer der wirklichen Anwendung eine Schwächung erleidet, die Zeit also als ein Faktor in dem Produkt erscheint, dies in der Strategie nicht auf eine wesentliche Art der Fall ist. Die zerstörenden Wirkungen, welche die Zeit auf die Streitkräfte auch in der Strategie übt, werden durch die Masse derselben teils vermindert, teils auf andere Weise eingebracht, und es kann daher in der Strategie nicht die Absicht sein, die Zeit um ihrer selbst willen zu seinem Verbündeten zu machen, indem man die Kräfte nach und nach zur Anwendung bringt.
Wir sagen um ihrer selbst willen, denn der Wert, welchen die Zeit wegen anderer Umstände, die sie herbeiführt, die aber von ihr selbst verschieden sind, für den einen der beiden Teile haben kann, ja notwendig haben muß, ist etwas ganz anderes, ist nichts weniger als gleichgültig oder unwichtig und wird der Gegenstand anderer Betrachtung sein.
[186] Das Gesetz, welches wir zu entwickeln versuchten, ist also: Alle Kräfte, welche für einen strategischen Zweck bestimmt und vorhanden sind, sollen gleichzeitig darauf verwendet werden, und diese Verwendung wird um so vollkommener sein, je mehr alles in einen Akt und in einen Moment zusammengedrängt wird.
Es gibt aber darum doch einen Nachdruck und eine nachhaltige Wirkung in der Strategie, und wir können sie um so weniger übersehen, als sie ein Hauptmittel des endlichen Erfolges ist, nämlich die fortdauernde Entwicklung neuer Kräfte. Auch dies ist der Gegenstand eines anderen Kapitels, und wir nennen ihn bloß, um zu verhüten, daß der Leser nicht etwas im Auge habe, wovon wir gar nicht sprechen.
Wir wenden uns nun zu einem mit unseren bisherigen Betrachtungen sehr nahe verwandten Gegenstand, durch dessen Feststellung dem Ganzen erst sein volles Licht gegeben werden kann, wir meinen die strategische Reserve.
Dreizehntes Kapitel: Strategische Reserve
Eine Reserve hat zwei Bestimmungen, die sich wohl voneinander unterscheiden lassen, nämlich: erstens, die Verlängerung und Erneuerung des Kampfes, und zweitens, der Gebrauch gegen unvorhergesehene Fälle. Die erste Bestimmung setzt den Nutzen einer sukzessiven Kraftanwendung voraus und kann deshalb in der Strategie nicht vorkommen. Die Fälle, wo ein Korps nach einem Punkt hingeschickt wird, der im Begriff ist, überwältigt zu werden, sind offenbar in die Kategorie der zweiten Bestimmung zu setzen, weil der Widerstand, welchen man hier zu leisten hat, nicht hinlänglich vorhergesehen worden ist. Ein Korps aber, das zur bloßen Verlängerung des Kampfes bestimmt und zu dem Behufe zurückgestellt ist, würde, nur außer dem Bereich des Feuers gestellt, dem im Gefecht Befehlenden untergeordnet und zugewiesen, mithin eine taktische und keine strategische Reserve sein.
Das Bedürfnis aber, eine Kraft für unvorhergesehene Fälle bereit zu haben, kann auch in der Strategie vorkommen, folglich kann es auch strategische Reserve geben: aber nur da, wo unvorhergesehene Fälle denkbar sind. In der Taktik, wo man die Maßregeln des Feindes meistens erst durch den Augenschein kennenlernt, und wo jedes Gehölz und jede Falte eines wellenförmigen Bodens dieselben verbergen kann, muß man [187] natürlich immer mehr oder weniger auf unvorhergesehene Fälle gefaßt sein, um diejenigen Punkte unseres Ganzen, welche sich zu schwach zeigen, hinterher zu verstärken und überhaupt die Anordnung unserer Kräfte mehr nach Maßgabe der feindlichen einrichten zu können.
Auch in der Strategie müssen solche Fälle vorkommen, weil der strategische Akt unmittelbar an den taktischen anknüpft. Auch in der Strategie wird manche Anordnung erst nach dem Augenschein, nach ungewissen, von einem Tage zum andern, von einer Stunde zur andern eingehenden Nachrichten, endlich nach den wirklichen Erfolgen der Gefechte getroffen; es ist also eine wesentliche Bedingung der strategischen Führung, daß nach Maßgabe der Ungewißheit Streitkräfte zur späteren Verwendung zurückgehalten werden.
Bei der Verteidigung überhaupt, besonders aber bei der Verteidigung gewisser Bodenabschnitte, wie Flüsse, Gebirge usw., kommt dies bekanntlich unaufhörlich vor.
Aber diese Ungewißheit nimmt ab, je weiter sich die strategische Tätigkeit von der taktischen entfernt, und hört fast ganz auf in jenen Regionen derselben, wo sie an die Politik grenzt.
Wohin der Feind seine Kolonnen zur Schlacht führt,
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