Vom Kriege
die Unternehmungen in früheren, von keinem großen Interesse angeregten Kriegen litten, wo der Müßiggang neun Zehnteile der Zeit einnahmen, die man unter den Waffen zubrachte. Diese Erscheinung rührt vorzüglich von dem Einfluß her, den die Forderung des einen und der Zustand und die Stimmung des andern auf die Führung des Krieges haben, wie im Kapitel vom Wesen und Zweck des Krieges bereits gesagt ist.
Diese Dinge können von einem so überwiegenden Einfluß werden, daß sie den Krieg zu einem Halbdinge machen. Oft sind die Kriege nicht viel mehr wie eine bewaffnete Neutralität oder eine drohende Stellung zur Unterstützung der Unterhandlungen oder ein mäßiger Versuch, sich in einen kleinen Vorteil zu setzen und dann die Sache abzuwarten, oder eine unangenehme Bundespflicht, die man so karg als möglich erfüllt.
In allen diesen Fällen, wo der Stoß der Interessen gering, das Prinzip der Feindschaft schwach ist, wo man dem Gegner nicht viel tun will und auch nicht viel von ihm zu befürchten hat, kurz, wo kein großes Interesse drängt und treibt, wollen die Kabinette nicht viel aufs Spiel setzen, und daher diese zahme Kriegführung, wo der feindselige Geist des wahren Krieges an die Kette gelegt wird.
Je mehr der Krieg auf diese Weise zu einem Halbdinge wird, um so mehr entbehrt die Theorie desselben der nötigen festen Punkte und Widerlagen für ihr Räsonnement, des Notwendigen wird immer weniger, des Zufälligen immer mehr.
Nichtsdestoweniger wird es auch in dieser Kriegführung eine Klugheit geben; ja vielleicht ist ihr Spiel hier mannigfaltiger und ausgedehnter als in der andern. Das Hazardspiel mit Geldrollen scheint in ein Kommerzspiel mit Groschen verwandelt. Und in diesem Felde, wo die Kriegführung mit vielen kleinen Schnörkeln die Zeit ausfüllt: mit Vorpostengefechten, die zwischen Ernst und Scherz in der Mitte stehen, mit langen Dispositionen, die nichts hervorbringen, mit Stellungen und Märschen, die man hinterher nur darum gelehrt nennt, weil die winzig kleine Ursache derselben verloren gegangen ist und der Hausverstand sich nichts dabei denken kann, gerade auf diesem Felde finden manche Theoretiker die wahre Kriegskunst zu Haus; in diesen Finten, Paraden, Halben- und Viertelstößen der alten Kriege finden sie das Ziel aller Theorie, das Vorherrschen des Geistes über die Materie, und die letzten Kriege kommen ihnen dagegen wie rohe Faustschläge vor, bei denen nichts zu lernen ist und die man als Rückschritte gegen die Barbarei betrachten muß. Diese Ansicht ist ebenso kleinlich als ihr Gegenstand. Wo große Kräfte, große [195] Leidenschaften fehlen, ist es einer gewandten Klugheit freilich leichter, ihr Spiel zu zeigen; aber ist denn die Leitung großer Kräfte, das Steuern in Sturm und Wellenschlag nicht an sich eine höhere Tätigkeit des Geistes? Ist denn jene Rapierkunst nicht von der andern Kriegführung umfaßt und getragen? Verhält sie sich nicht zu ihr, wie sich die Bewegungen auf einem Schiffe zu den Bewegungen des Schiffes verhalten? Sie kann ja nur bestehen unter der stillschweigenden Bedingung, daß der Gegner es nicht besser mache. Und wissen wir, wie lange er diese Bedingung erfüllen wird? Hat uns denn nicht Frankreichs Revolution mitten in der eingebildeten Sicherheit unserer alten Künste überfallen und von Châlons bis Moskau geschleudert? Und hat Friedrich der Große nicht schon auf ähnliche Weise die Österreicher in der Ruhe ihrer alten Kriegsgewohnheiten überrascht und ihre Monarchie erschüttert? - Wehe dem Kabinett, welches mit einer halben Politik und gefesselten Kriegskunst auf einen Gegner trifft, der wie das rohe Element keine anderen Gesetze kennt als die seiner innewohnenden Kraft! Dann wird jeder Mangel an Tätigkeit und Anstrengung ein Gewicht in der Waagschale des Gegners; es ist dann nicht so leicht, die Fechterstellung in die eines Athleten zu verwandeln, und ein geringer Stoß reicht oft hin, das Ganze zu Boden zu werfen.
Aus allen angeführten Ursachen geht hervor, daß der kriegerische Akt eines Feldzuges nicht in kontinuierlicher Bewegung fortläuft, sondern ruckweis, und daß also zwischen den einzelnen blutigen Handlungen eine Zeit des Beobachtens eintritt, in welcher sich beide Teile in der Verteidigung befinden, sowie daß gewöhnlich ein höherer Zweck bei dem einen das Prinzip des Angriffs vorherrschen und ihn im allgemeinen in einer fortschreitenden Stellung bleiben läßt, wodurch denn sein Betragen in etwas modifiziert
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