Vom Kriege
Verteidigern eine allgemeine Überlegenheit gibt. Die kleinste Patrouille, jede Feld- und Schildwache, jeder versendete Offizier sind mit ihren Bedürfnissen um Nachrichten über Feind, Freund und Gegner an den Landesbewohner verwiesen.
Steigt man nun von diesen ganz allgemeinen, nie ausbleibenden Beziehungen zu den besonderen Fällen auf, wo das Land anfängt, an dem Kampfe selbst teilzunehmen, und bis zu dem höchsten Grad derselben, wo es, wie in Spanien, durch einen Volkskrieg diesen Kampf, der Hauptsache nach, selbst führt, so begreift man, daß hier nicht bloß eine Steigerung des Volksbeistandes, sondern eine wahrhaft neue Potenz entsteht, und daß wir also
[356] 4. die Volksbewaffnung oder den Landsturm als ein eigentümliches Mittel der Verteidigung anführen können.
5. Endlich dürfen wir noch die Bundesgenossen als die letzte Stütze des Verteidigers nennen. Die gewöhnlichen, welche der Angreifende auch hat, können wir hiermit natürlich nicht meinen, sondern diejenigen, welche bei der Erhaltung eines Landes wesentlich beteiligt sind. Wenn wir nämlich die Staatenrepublik des heutigen Europa im Auge haben, so finden wir, um nicht von einem systematisch geregelten Gleichgewicht der Macht und der Interessen zu reden, wie es nicht vorhanden und darum oft und mit Recht bestritten worden ist, doch unstreitig, daß sich die großen und kleinen Staats- und Volksinteressen auf die mannigfaltigste und veränderlichste Weise durchkreuzen. Jeder solche Kreuzpunkt bildet einen befestigenden Knoten, denn in ihm ist die Richtung des einen der Richtung des anderen das Gegengewicht; durch alle diese Knoten also wird offenbar ein mehr oder weniger großer Zusammenhang des Ganzen gebildet und dieser Zusammenhang muß bei jeder Veränderung teilweise überwunden werden. Auf diese Weise dienen die Gesamtverhältnisse aller Staaten zueinander mehr das Ganze in seiner Gestalt zu erhalten, als Veränderungen darin hervorzubringen, d. h. es ist im allgemeinen jene Tendenz vorhanden.
So, glauben wir, muß man den Gedanken eines politischen Gleichgewichts auffassen, und in diesem Sinn wird dasselbe überall von selbst entstehen, wo mehrere kultivierte Staaten in vielseitige Berührung treten.
Wie wirksam diese Tendenz der Gesamtinteressen zur Erhaltung des bestehenden Zustandes sei, ist eine andere Frage; es lassen sich allerdings Veränderungen in dem Verhältnis einzelner Staaten untereinander denken, die diese Wirksamkeit des Ganzen erleichtern, und andere, die sie erschweren. In dem ersten Fall sind es Bestrebungen, das politische Gleichgewicht auszubilden, und da sie dieselbe Tendenz haben, wie die Gesamtinteressen, so werden sie auch die Majorität dieser Interessen für sich haben. In dem andern Fall aber sind es Ausweichungen, überwiegende Tätigkeit einzelner Teile, wahre Krankheiten; daß diese in einem so schwach verbundenen Ganzen, wie die Menge großer und kleiner Staaten ist, vorkommen, ist nicht zu verwundern, kommen sie doch in dem so wundervoll geordneten organischen Ganzen aller lebendigen Natur vor.
Wenn man uns also auf die Fälle in der Geschichte hinweist, wo einzelne Staaten bedeutende Veränderungen bloß zu ihrem Vorteil haben bewirken können, ohne daß das Ganze auch nur einen Versuch gemacht hätte, dies zu verhindern, oder gar auf die Fälle, wo ein einzelner Staat imstande gewesen ist, sich so über die andern zu erheben, daß er fast der unumschränkte Gebieter des Ganzen wurde, - so antworten wir: damit sei keineswegs erwiesen, daß die Tendenz der Gesamtinteressen zur Erhaltung des Zustandes nicht vorhanden, sondern nur, daß ihre Wirksamkeit in dem Augenblick [357] nicht groß genug gewesen sei; das Streben zu einem Ziel ist etwas anderes als die Bewegung dahin, aber darum keineswegs etwas Nichtiges, wie wir das am besten aus der Dynamik des Himmels ersehen.
Wir sagen: die Tendenz des Gleichgewichts ist die Erhaltung des vorhandenen Zustandes, wobei wir allerdings voraussetzen, daß in diesem Zustande Ruhe, d. h. Gleichgewicht, vorhanden war; denn wo diese schon gestört ist, eine Spannung schon eingetreten ist, da kann die Tendenz des Gleichgewichts allerdings auch auf eine Veränderung gerichtet sein. Diese Veränderung kann aber, wenn wir auf die Natur der Sache sehen, immer nur einzelne wenige, also niemals die Majorität der Staaten treffen, und so ist es denn gewiß, daß diese ihre Erhaltung immer durch die Gesamtinteressen aller vertreten und versichert sehen, also auch gewiß,
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