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Vom Kriege

Vom Kriege

Titel: Vom Kriege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl von Clausewitz
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unermeßlicher Leichtsinn gingen Hand in Hand, und taumelten so in den Abgrund. Lange vor der Teilung Polens waren die Russen dort so gut wie zu Haus, der Begriff eines selbständigen, nach außen abgeschlossenen Staates gar nicht mehr vorhanden, und nichts gewisser, als daß Polen, wenn es nicht geteilt wurde, zur russischen Provinz werden mußte. Wäre das alles nicht, und Polen ein Staat gewesen, der einer Verteidigung fähig war, so würden die drei Mächte nicht so leicht an seine Teilung geschritten sein, und diejenigen Mächte, die bei seiner Erhaltung am meisten beteiligt waren, wie Frankreich, Schweden und die Türkei, hätten dann ganz anders zu seiner Erhaltung mitwirken können. Wenn aber die Erhaltung eines Staates bloß von außen besorgt werden soll, so ist das freilich zu viel verlangt.
    Die Teilung Polens war über 100 Jahre vorher mehrmals zur Sprache gekommen, und das Land war seitdem nicht wie ein geschlossenes Haus, sondern wie eine öffentliche Straße zu betrachten gewesen, auf der sich beständig fremde Kriegsmacht herumtummelte. Sollten die andern Staaten dies alles verhindern, sollten sie beständig das Schwert gezückt haben, um die politische Heiligkeit der polnischen Grenze zu bewachen? Das heißt eine moralische Unmöglichkeit fordern. Polen war in dieser Zeit politisch nicht viel mehr als eine unbewohnte Steppe; und sowenig man imstande gewesen wäre, diese zwischen andern Staaten gelegene, verteidigungslose Steppe vor ihren Eingriffen immer zu schützen, ebensowenig konnte man die Unverletzlichkeit dieses sogenannten Staates sichern. Aus allen diesen Gründen sollte man sich ebensowenig über den geräuschlosen Untergang Polens verwundern, als über den stillen Untergang der krimschen Tatarei; die Türken waren dabei in jedem Fall mehr interessiert als irgendein europäischer Staat bei der Erhaltung Polens, aber sie sahen ein, daß es vergebliche Anstrengung sein würde, eine widerstandlose Steppe zu schützen.
    Wir kehren zu unserm Gegenstand zurück, und glauben dargetan zu haben, daß ein Verteidiger im allgemeinen mehr auf äußern Beistand rechnen darf als der Angreifende; er wird um so sicherer darauf rechnen dürfen, je bedeutender sein Dasein für alle übrigen, d. h., je gesunder und kräftiger sein politischer und kriegerischer Zustand ist.
    Die Gegenstande, welche wir hier als eigentliche Mittel der Verteidigung genannt haben, werden nicht jeder einzelnen Verteidigung zu Gebote stehen, das versteht sich von selbst, bald werden die einen fehlen, bald die andern, aber dem Kollektivbegriff der Verteidigung gehören sie insgesamt an.
Siebentes Kapitel: Wechselwirkung von Angriff und Verteidigung
    Wir wollen jetzt die Verteidigung und den Angriff besonders in Betrachtung ziehen, soweit sich beide voneinander trennen lassen. Wir fangen mit der Verteidigung aus folgenden Gründen an. Es ist zwar sehr natürlich und notwendig, die Regeln der Verteidigung auf die des Angriffs, und die Regeln des Angriffs auf die der Verteidigung zu gründen, allein eins von Beidem muß noch einen dritten Punkt haben, wenn die ganze Vorstellungsreihe einen Anfang nehmen, also möglich werden soll. Die erste Frage ist nun dieser Punkt.
    [360] Wenn wir uns die Entstehung des Krieges philosophisch denken, so entsteht der eigentliche Begriff des Krieges nicht mit dem Angriff, weil dieser nicht sowohl den Kampf als die Besitznahme zum absoluten Zweck hat, sondern er entsteht erst mit der Verteidigung, denn diese hat den Kampf zum unmittelbaren Zweck, weil Abwehren und Kämpfen offenbar eins ist. Das Abwehren ist nur auf den Anfall gerichtet, setzt ihn also notwendig voraus, der Anfall aber nicht auf das Abwehren, sondern auf etwas anderes, nämlich die Besitznahme, setzt also das letztere nicht notwendig voraus. Es ist daher in der Natur der Sache, daß derjenige, welcher das Element des Krieges zuerst in die Handlung bringt, von dessen Standpunkt aus zuerst zwei Parteien gedacht werden, auch die ersten Gesetze für den Krieg aufstelle, nämlich der Verteidiger. Hier ist nicht von einem einzelnen Fall, sondern von dem allgemeinen, von dem abstrakten Fall die Rede, den sich die Theorie zur Bestimmung ihres Weges denkt.
    Dadurch nun wissen wir, wo der feste Punkt außerhalb der Wechselwirkung von Angriff und Verteidigung zu suchen ist, nämlich: bei der Verteidigung.
    Ist diese Folgerung richtig, so muß es für den Verteidiger Bestimmungsgründe seines Verhaltens geben, auch wenn er gar noch nichts von dem

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