Vom Kriege
weiß, was der Angreifende tun wird, und zwar müssen diese Bestimmungsgründe eine Anordnung der Kampfmittel enthalten. Umgekehrt müßte es für den Angreifenden, solange er nichts von seinem Gegner wüßte, auch keine Bestimmungsgründe seines Verfahrens geben, die eine Anwendung der Kampfmittel enthielten. Er müßte nichts tun können, als diese mitnehmen, d. h. vermittelst einer Armee Besitz ergreifen. Und so ist es doch auch in der Tat; denn Kampfmittel schaffen, heißt noch nicht sie gebrauchen, und der Angreifende, der sie mitnimmt in der ganz allgemeinen Voraussetzung, daß er sie brauchen werde, und der, anstatt durch Kommissarien und Proklamationen von dem Lande Besitz zu nehmen, dies mit Armeen tut, übt eigentlich noch keinen positiven kriegerischen Akt aus; der Verteidiger aber, der seine Kampfmittel nicht bloß sammelt, sondern auch so disponiert, wie er den Kampf führen will, der übt zuerst eine Tätigkeit aus, auf welche der Begriff des Krieges wirklich paßt.
Die zweite Frage ist nun: welcher Natur können in der Theorie die Bestimmungsgründe sein, welche für die Verteidigung zuerst aufgestellt werden, ehe über den Angriff selbst etwas gedacht worden ist? Offenbar ist es das Vorschreiten zur Besitznahme, welches außerhalb des Krieges gedacht wird, aber den Stützpunkt für die ersten Sätze der kriegerischen Haltung abgibt. Dieses Vorschreiten soll die Verteidigung hindern, es muß also in Beziehung auf das Land gedacht werden, und so entstehen die ersten allgemeinsten Bestimmungen der Verteidigung. Sind diese einmal festgestellt, so wird der Angriff auf sie angewandt, und aus der Betrachtung der Mittel, welche dieser anwendet, ergeben sich neue Verteidigungsgrundsätze. Nun ist die [361] Wechselwirkung da, welche die Theorie in ihrer Untersuchung solange fortsetzen kann, als sie die sich ergebenden neuen Resultate der Berücksichtigung wert findet.
Diese kleine Analyse war notwendig, um allen unseren künftigen Betrachtungen etwas mehr Klarheit und Festigkeit zu geben; dergleichen ist nicht für das Schlachtfeld, auch nicht für den künftigen Feldherrn gemacht, sondern für das Heer der Theoretiker, die sich die Sachen bisher gar zu leicht gemacht haben.
Achtes Kapitel: Widerstandsarten
Der Begriff der Verteidigung ist das Abwehren; in diesem Abwehren liegt das Abwarten, und dieses Abwarten ist uns das Hauptmerkmal der Verteidigung und zugleich ihr Hauptvorteil gewesen.
Da aber die Verteidigung im Kriege kein bloßes Leiden sein kann, so kann auch das Abwarten kein absolutes sein, sondern nur ein relatives; der Gegenstand, auf welchen sich dasselbe bezieht, ist dem Raum nach entweder das Land oder das Kriegstheater oder die Stellung, der Zeit nach der Krieg, der Feldzug oder die Schlacht. Daß diese Gegenstände keine unveränderliche Einheiten sind, sondern nur die Mittelpunkte gewisser Gebiete, die sich miteinander verlaufen und ineinander verschlingen, wissen wir wohl; allein im praktischen Leben muß man sich oft begnügen, die Dinge nur zu gruppieren, nicht streng zu sondern, und jene Begriffe haben durch das praktische Leben selbst hinreichende Bestimmtheit bekommen, so daß man um sie die übrigen Vorstellungen bequem sammeln kann.
Eine Verteidigung des Landes also wartet nur den Angriff des Landes, eine Verteidigung des Kriegstheaters den Angriff des Kriegstheaters, eine Verteidigung der Stellung den Angriff der Stellung ab. Jede positive und folglich mehr oder weniger angriffsartige Tätigkeit, welche sie nach diesem Augenblick ausübt, wird den Begriff der Verteidigung nicht aufheben, denn das Hauptmerkmal derselben und ihr Hauptvorteil, das Abwarten, hat stattgefunden.
Die der Zeit angehörigen Begriffe von Krieg, Feldzug, Schlacht gehen neben den Begriffen von Land, Kriegstheater und Stellung her, und haben deshalb dieselbe Beziehung zu unserm Gegenstand.
Die Verteidigung besteht also aus zwei heterogenen Teilen, dem Abwarten und dem Handeln. Indem wir das erstere auf einen bestimmten [362] Gegenstand bezogen haben und also dem Handeln vorangehen lassen, haben wir die Verbindung beider zu einem Ganzen möglich gemacht. Aber ein Akt der Verteidigung, besonders ein großer, wie ein Feldzug oder ganzer Krieg, wird der Zeit nach nicht aus zwei großen Hälften bestehen, der ersten, wo man bloß abwartet, und der zweiten, wo man bloß handelt, sondern aus einem Wechsel dieser beiden Zustände, so daß sich das Abwarten durch den ganzen Akt der Verteidigung wie ein
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