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Vom Kriege

Vom Kriege

Titel: Vom Kriege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl von Clausewitz
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daß jeder einzelne Staat, der nicht in dem Fall ist, sich gegen das Ganze schon in einer Spannung zu befinden, bei seiner Verteidigung mehr Interessen für als gegen sich haben wird.
    Wer über diese Betrachtungen wie über utopische Träume lacht, der tut es auf Kosten der philosophischen Wahrheit. Wenn diese uns die Verhältnisse erkennen läßt, in welchen die wesentlichen Elemente der Dinge zueinander stehen, so wäre es freilich unüberlegt, mit Übergehung aller zufälligen Einmischungen daraus Gesetze herleiten zu wollen, nach welchen jeder einzelne Fall geregelt werden könnte. Wer sich aber, nach dem Ausdruck eines großen Schriftstellers nicht über die Anekdote erhebt, die ganze Geschichte daraus zusammenbaut, überall mit dem Individuellsten, mit der Spitze des Ereignisses anfängt, und nur so tief hinuntersteigt, als er eben Veranlassung findet, also niemals auf die tief im Grunde herrschenden allgemeinen Verhältnisse kommt, dessen Meinung wird auch niemals für mehr als einen Fall Wert haben, und dem wird freilich, was die Philosophie für die Allgemeinheit der Fälle ausmacht, wie ein Traum erscheinen.
    Wenn jenes allgemeine Bestreben zur Ruhe und Erhaltung des Bestehenden nicht vorhanden wäre, so würde niemals eine Anzahl gebildeter Staaten eine geraume Zeit nebeneinander bestehen können, sie müßten notwendig in einem zusammenfließen. Wenn also das jetzige Europa über 1000 Jahre so besteht, so können wir diese Wirkung nur jener Tendenz der Gesamtinteressen zuschreiben, und wenn der Schutz des Ganzen nicht immer zur Erhaltung jedes einzelnen hingereicht hat, so sind das Unregelmäßigkeiten in dem Leben dieses Ganzen, die aber dasselbe doch nicht zerstört haben, sondern von ihm überwältigt worden sind.
    Es würde sehr überflüssig sein, die Masse der Ereignisse zu durchlaufen, wo Veränderungen, welche das Gleichgewicht zu sehr störten, durch mehr oder weniger offenbare Entgegenwirkung der anderen Staaten verhindert oder rückgängig gemacht worden sind; der flüchtigste Blick auf die Geschichte zeigt sie. Nur von einem Fall wollen wir sprechen, weil er stets im Munde derer ist, die den Gedanken eines politischen Gleichgewichts verspotten, [358] und weil er ganz besonders hierher zu gehören scheint, als ein Fall, in welchem ein harmloser Verteidiger unterging, ohne die Teilnahme eines fremden Beistandes zu gewinnen. Wir sprechen von Polen. Daß ein Staat von 8 Millionen Einwohnern verschwinden, von drei andern geteilt werden konnte, ohne daß von einem der übrigen Staaten ein Schwert gezogen wurde, erscheint auf den ersten Blick als ein Fall, der entweder die allgemeine Unwirksamkeit des politischen Gleichgewichts hinreichend bewiese oder wenigstens zeigte, wie weit sie in einzelnen Fällen gehen könne. Daß ein Staat von solchem Umfang verschwinden, und andern zur Beute werden könnte, die schon zu den mächtigsten gehörten (Rußland und Österreich), schien ein Fall der äußersten Art zu sein, und wenn ein solcher nichts von den Gesamtinteressen der ganzen Staatenrepublik aufregen konnte, wird man sagen, so ist die Wirksamkeit, welche diese Gesamtinteressen für die Erhaltung einzelner haben sollen, als eine eingebildete zu betrachten. Aber wir bleiben dabei stehen, daß ein einzelner Fall, wie auffallend er auch sei, nichts gegen die Allgemeinheit beweist, und behaupten demnächst, daß der Fall von Polens Untergang auch nicht so unbegreiflich ist, wie er erscheint. War denn Polen wirklich als ein europäischer Staat, als ein homogenes Glied in der europäischen Staatenrepublik zu betrachten? Nein! es war ein Tatarenstaat, der, anstatt wie die Tataren der Krim am Schwarzen Meer, an der Grenze der europäischen Staatenwelt gelegen zu sein, an der Weichsel zwischen ihnen lag. Wir wollen damit weder verächtlich von dem Volk der Polen reden, noch die Teilung des Landes rechtfertigen, sondern nur die Sachen sehen, wie sie sind. Seit 100 Jahren hatte dieser Staat im Grunde keine politische Rolle mehr gespielt, sondern war nur der Zankapfel für andere gewesen. In seinem Zustand und seiner Verfassung konnte er sich auf die Dauer zwischen den andern unmöglich erhalten; eine wesentliche Veränderung in diesem Tatarenzustand aber hätte nur das Werk eines halben oder ganzen Jahrhunderts sein können, wenn die Führer dieses Volks dazu willig gewesen wären. Diese aber waren selbst viel zu sehr Tataren, um eine solche Veränderung zu wünschen. Ihr liederliches Staatsleben und ihr

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