Vom Kriege
Seite sich das positive Handeln findet, am meisten und stärksten zeigen. So ist es denn freilich kein Wunder, wenn ein solcher atemloser, hektischer Angriff durch den Druck eines Fingers zum Stillstand gebracht werden konnte. Gegen einen matten, von tausend Rücksichten gelähmten, kaum noch vorhandenen Entschluß ist oft der Schein eines Widerstandes genug.
Es ist also nicht die große Anzahl unangreifbarer Stellungen, welche sich überall finden, nicht die Furchtbarkeit der dunkeln Gebirgsmassen, welche sich über das Kriegstheater hinlagern, oder des breiten Stromes, der es durchzieht, nicht die Leichtigkeit, durch gewisse Zusammenstellungen der Gefechte den Muskel, der den Stoß gegen uns ausführen soll, wirklich zu lähmen; - diese Dinge sind nicht die Ursache des häufigen Erfolges, den der Verteidiger auf unblutigem Wege hat, sondern es ist die Schwäche des Willens, womit der Angreifende den zögernden Fuß vorsetzt.
Jene Gegengewichte können und müssen berücksichtigt werden, aber man soll sie nur erkennen als das, was sie sind, und ihre Wirkungen nicht andern Dingen zuschreiben, nämlich den Dingen, von denen wir hier allein sprechen. Wir dürfen nicht unterlassen, ausdrücklich darauf hinzuweisen, wie die Kriegsgeschichte in dieser Beziehung so leicht zu einem stehenden Lügner und Betrüger werden kann, wenn die Kritik nicht darauf bedacht ist, einen berichtigenden Standpunkt anzunehmen.
Betrachten wir jetzt die großen Massen der ohne blutige Lösung mißlungenen Angriffsfeldzüge in der Gestalt, welche wir die vulgäre nennen möchten.
Der Angreifende rückt in Feindesland vor, drängt den Gegner ein Stück zurück, findet aber zu viel Bedenken, es auf eine entscheidende Schlacht ankommen zu lassen; er bleibt also vor ihm stehen, tut, als habe er eine Eroberung gemacht und keine andere Aufgabe, als diese zu decken; als sei es an dem Gegner, die Schlacht zu suchen, als biete er sie ihm täglich an usw. Dies alles sind Vorspiegelungen, die der Feldherr seinem Heer, seinem Hof, der Welt, ja sich selbst macht. Der wahre Grund ist, daß man den Gegner in seiner Lage zu stark findet. Wir sprechen hier nicht von dem Fall, wo der Angreifende den Angriff unterläßt, weil er vom Siege keinen Gebrauch machen konnte, weil er, am Ende seiner Laufbahn, nicht mehr Schwungkraft genug hatte, eine neue zu beginnen. Dieser Fall setzt einen schon gelungenen Angriff, eine wirkliche Eroberung voraus; wir aber haben hier den Fall im Auge, wo der Angreifende mitten in der beabsichtigten Eroberung stecken bleibt.
Nun wird gewartet, um günstige Umstände zu benutzen; zu diesen günstigen Umständen sind in der Regel keine Gründe vorhanden, denn der beabsichtigte Angriff beweist schon, daß man sich von der nächsten Zukunft nicht mehr [372] versprechen konnte als von der Gegenwart; es ist also ein neues Trugbild. Ist nun, wie gewöhnlich, das Unternehmen im Zusammenhange mit andern gleichzeitigen, so wird andern Heeren zugeschoben, was man nicht selbst leisten will, und die Gründe der eigenen Untätigkeit werden im Mangel an Unterstützung und Zusammenstimmung gesucht. Es wird von unüberwindlichen Schwierigkeiten gesprochen und Motive werden in den verwickeltsten feinsten Beziehungen gefunden. So verzehren sich die Kräfte des Angreifenden in Untätigkeit oder vielmehr in einer unzureichenden und darum erfolglosen Tätigkeit. Der Verteidiger gewinnt Zeit, worauf es ihm hauptsächlich ankommt, die schlechte Jahreszeit naht und der Angriff endigt damit, daß der Angreifende in sein eigenes Kriegstheater zu den Winterquartieren zurückkehrt.
Jenes Gewebe nun von unwahren Vorstellungen geht in die Geschichte über und verdrängt den ganz einfachen und wahren Grund des Nichterfolges, nämlich die Furcht vor dem feindlichen Schwert. Geht nun die Kritik in einen solchen Feldzug ein, so müht sie sich an einer Menge von Gründen und Gegengründen ab, die kein überzeugendes Resultat geben, weil sie alle in der Luft schweben, und man in den eigentlichen Grundbau der Wahrheit nicht hinuntersteigt.
Jener Betrug aber ist nicht etwa bloß eine üble Gewohnheit, sondern in der Natur der Dinge begründet. Die Gegengewichte, wodurch die Elementarkraft des Krieges und also der Angriff insbesondere geschwächt wird, liegen dem größeren Teile nach in den politischen Verhältnissen und Absichten des Staats, und diese werden der Welt, dem eigenen Volke und Heere immer, in manchen Fällen aber sogar dem Feldherrn verborgen. Niemand
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