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Vom Kriege

Vom Kriege

Titel: Vom Kriege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl von Clausewitz
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einen kleinen Posten nach dem andern abgelockt haben, sind in Beziehung auf den Zweck einer Hauptmacht kleinlich zu nennen; allein diese Ansicht zeigt wenigstens [448] die Möglichkeit einer solchen Verirrung. Daß es eine solche Verirrung, nämlich ein Verkennen des Gegners und der eigenen Lage ist, übersieht man und spricht nur von dem fehlerhaften System. Man läßt aber dies System stillschweigend gelten, da, wo es mit Vorteil oder wenigstens ohne Schaden befolgt worden ist. Jedermann rühmt die fehlerfreien Feldzüge des Prinzen Heinrich im Siebenjährigen Kriege, weil der König sie so benannt hat, obgleich diese Feldzüge die allerstärksten und unbegreiflichsten Beispiele von so ausgedehnter Postenstellung enthalten, daß sie den Namen eines Kordons so sehr verdienen wie irgend andere. Man kann diese Stellungen vollkommen rechtfertigen, wenn man sagt: der Prinz kannte seine Gegner, er wußte, daß er keine entscheidenden Unternehmungen zu fürchten hatte, und da übrigens der Zweck seiner Aufstellung war, immer einen so großen Landstrich als möglich innezuhaben, so ging er so weit, wie die Umstände nur irgend gestatten wollten. Wäre der Prinz in einem solchen Spinngewebe einmal verunglückt und zu einem tüchtigen Verlust gekommen, so hätte man sagen müssen, nicht daß der Prinz ein fehlerhaftes Kriegssystem befolgte, sondern daß er sich in seiner Maßregel vergriffen, sie auf einen ungeeigneten Fall angewendet hatte.
    Wenn wir uns auf diese Weise bemühen, begreiflich zu machen, wie ein sogenanntes Kordonsystem bei der Hauptmacht des Kriegstheaters entstehen, ja wie es vernünftig und nützlich sein kann, also dann nicht mehr als eine Absurdität erscheint: so wollen wir nur zugleich bekennen, daß es wirklich Fälle gegeben zu haben scheint, wo die Feldherren oder ihr Generalstab die eigentliche Bedeutung eines Kordonsystems übersehen, seinen relativen Wert für einen allgemeinen halten, und es wirklich zur Deckung gegen jeden feindlichen Angriff geeignet geglaubt haben; wo also keine Verwechslung der Maßregel, sondern ein vollkommenes Mißverstehen derselben stattgefunden hat; wir wollen es gestehen, daß diese wahre Absurdität unter andern dagewesen zu sein scheint in der Verteidigung der Vogesen durch das preußische und österreichische Heer 1793 und 1794.
Dreiundzwanzigstes Kapitel: Schlüssel des Landes
    Es gibt in der Kriegskunst keine theoretische Vorstellung, welche in der Kritik eine solche Rolle gespielt hat als diejenige ist, mit welcher wir uns hier beschäftigen. Sie ist das Paradepferd aller Schlacht- und Feldzugsbeschreibungen, der häufigste Standpunkt alles Räsonnements und eines von [449] jenen Fragmenten wissenschaftlicher Form, womit die Kritik sich viel weiß. Und doch steht der damit verbundene Begriff weder fest, noch ist er je deutlich ausgesprochen.
    Wir wollen versuchen, ihn deutlich zu entwickeln, und sehen, welchen Wert er für das praktische Handeln denn noch behalten wird.
    Wir geben ihm diese Stelle, weil die Gebirgs- und Flußverteidigung, sowie die Begriffe von festen und verschanzten Stellungen, an die er sich zunächst anschließt, vorausgegangen sein mußten.
    Der unbestimmte, verworrene Begriff, welcher sich hinter dieser uralten militärischen Metapher versteckt, hat bald die Gegend bedeutet, wo ein Land am offensten, bald die, wo es am stärksten ist.
    Wenn es eine Gegend gibt, ohne deren Besitz man es nicht wagen darf, in das feindliche Land einzudringen, so wird sie mit Recht der Schlüssel des Landes genannt werden. Allein diese einfache, aber freilich auch nicht sehr fruchtbare Vorstellung hat den Theoretikern nicht genügt, sie haben sie potenziert, und sich unter Schlüssel des Landes Punkte gedacht, welche über den Besitz des Ganzen entscheiden.
    Wenn die Russen in die Halbinsel der Krim vordringen wollten, so mußten sie sich zum Herren von Perekop und seiner Linien machen, nicht sowohl, um dadurch überhaupt den Eingang zu gewinnen, denn Lascy hat sie 1737 und 1738 zweimal umgangen, sondern um in der Krim sich mit leidlicher Sicherheit festsetzen zu können. Das ist sehr einfach, aber freilich gewinnt man dabei durch den Begriff eines Schlüsselpunktes eben nicht viel. Wenn man aber sagen könnte: wer die Gegend von Langres innehat, der besitzt oder beherrscht ganz Frankreich bis Paris hin, d. h. es hängt dann nur von ihm ab, es in Besitz zu nehmen, so wäre das offenbar etwas ganz anderes, etwas von einer viel höheren Wichtigkeit. Nach der

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