Vom Kriege
Vorschreiten solange dauern muß, bis die Überlegenheit erschöpft ist; dies treibt also an das Ziel und kann auch leicht darüber hinausführen. - Bedenkt man, aus wieviel Elementen die Gleichung der Kräfte zusammengesetzt ist, so begreift man, wie schwer es in manchen Fällen auszumachen ist, wer von beiden die Überlegenheit auf seiner Seite hat. Oft hängt alles an dem seidenen Faden der Einbildung.
Es kommt also alles darauf an, den Kulminationspunkt mit einem feinen Takt des Urteils herauszufühlen. - Hier stoßen wir auf einen scheinbaren [529] Widerspruch. - Die Verteidigung ist stärker als der Angriff, man sollte also glauben, daß dieser nie zu weit führen könne, denn solange die schwächere Form stark genug bleibt, ist man es ja für die stärkere um so mehr 9 .
Sechstes Kapitel: Vernichtung der feindlichen Streitkräfte
Vernichtung der feindlichen Streitkräfte ist das Mittel zum Ziel. - Was darunter verstanden wird. - Preis, den es kostet. - Verschiedene Gesichtspunkte, welche dabei möglich sind:
1. Nur soviel zu vernichten, als der Gegenstand des Angriffs erfordert;
2. oder soviel als überhaupt möglich ist;
3. wenn die Schonung der eigenen dabei der Hauptgesichtspunkt wird;
4. dies kann wieder so weit gehen, daß der Angriff nur bei günstiger Gelegenheit etwas zur Vernichtung der feindlichen Streitkräfte unternimmt; wie dies bei dem Gegenstand des Angriffs auch der Fall sein kann und im dritten Kapitel schon vorgekommen ist.
Das einzige Mittel zur Zerstörung der feindlichen Streitkräfte ist das Gefecht, aber freilich auf eine doppelte Art: 1. unmittelbar; 2. mittelbar, durch Kombination von Gefechten. - Wenn also die Schlacht das Hauptmittel ist, so ist sie doch nicht das einzige. Die Einnahme einer Festung, eines Stück Landes ist an sich schon eine Zerstörung der feindlichen Streitkräfte, sie kann aber auch zu einer größeren führen, es also auch mittelbar werden.
Die Besetzung eines unverteidigten Landstriches kann also außer dem Wert, welchen sie als eine unmittelbare Zweckerfüllung hat, auch noch als Zerstörung der feindlichen Streitkräfte gelten. Das Herausmanövrieren des Feindes aus einer von ihm besetzten Gegend ist etwas nicht viel anderes und kann also nur unter demselben Gesichtspunkt, nicht wie ein eigentlicher Waffenerfolg angesehen werden. - Diese Mittel werden meistens überschätzt, - selten haben sie den Wert einer Schlacht; und dabei ist immer noch [530] zu fürchten, daß man die nachteilige Lage übersieht, in welche sie führen; wegen des geringen Preises, den sie kosten, sind sie verführerisch.
Überall müssen sie als geringere Einsätze angesehen werden, die auch nur zu geringen Gewinnen führen und für beschränktere Verhältnisse und schwächere Motive passen. Dann sind sie offenbar besser als zwecklose Schlachten. - Siege, deren Erfolge sich nicht erschöpfen lassen.
Siebentes Kapitel: Die Offensivschlacht
Was wir von der Defensivschlacht gesagt haben, wirft schon ein großes Licht auf die Offensivschlacht.
Wir haben dort die Schlacht im Auge gehabt, wo die Verteidigung am stärksten ausgesprochen ist, um das Wesen derselben fühlbar zu machen, - die wenigsten Schlachten sind aber so, die meisten sind halbe rencontres, wo der Defensivcharakter sehr verlorengeht. So ist es aber nicht mit der Offensivschlacht; sie behält ihren Charakter unter allen Umständen und darf ihn um so dreister behaupten, als der Verteidiger sich nicht in seinem eigentlichen esse befindet. Darum bleibt auch bei der nicht recht ausgesprochenen Defensivschlacht und bei den wahren rencontres immer etwas von dem Unterschiede in dem Charakter der Schlacht auf seiten des einen und des anderen. Die Haupteigentümlichkeit der Offensivschlacht ist das Umfassen oder Umgehen, also zugleich die Lieferung der Schlacht.
Das Gefecht mit umfassenden Linien hat an sich ganz offenbar große Vorteile; dies ist ein Gegenstand der Taktik. Diese Vorteile kann der Angriff nicht aufgeben, weil die Verteidigung ein Mittel dagegen hat, denn dieses Mittel kann er selbst nicht anwenden, insofern es mit den übrigen Verhältnissen der Verteidigung zu genau zusammenhängt. Um den umfassenden Feind mit Vorteil wieder zu umfassen, muß man sich in einer ausgesuchten und wohleingerichteten Stellung befinden. Aber was viel wichtiger ist, nicht alle Vorteile, welche die Verteidigung darbietet, kommen wirklich in Anwendung; die meisten Verteidigungen sind ein dürftiger Notbehelf, und die Verteidiger
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