Vom Kriege
aber mit guten Terrainhindernissen und tüchtigen Schanzen kann man sich auch gegen eine große Überzahl wehren. Friedrich der Große hielt den Angriff auf das Lager von Pirna für untunlich, ob er gleich das Doppelte der Besatzung dagegen anwenden konnte, und wenn später hin und wieder behauptet worden ist, daß es wohl hätte genommen werden können, so gründet sich der einzige Beweis dieser Behauptung auf den sehr schlechten Zustand der sächsischen Truppen, welches dann freilich nichts gegen die Schanzen beweist. Aber es ist die Frage, ob diejenigen, welche hinterher den Angriff nicht allein für möglich, sondern sogar für leicht gehalten haben, in dem Augenblick sich dazu entschlossen hätten.
Wir glauben also, daß der Angriff eines verschanzten Lagers zu den ganz ungewöhnlichen Mitteln der Offensive gehört. Nur wenn die Schanzen in der Eile aufgeworfen, nicht vollendet, noch weniger mit Zugangshindernissen [536] verstärkt sind, oder wenn überhaupt, wie das oft der Fall ist, das ganze Lager nur ein Schema von dem ist, was es sein sollte, eine halbfertige Ruine, dann kann ein Angriff darauf ratsam sein und sogar ein Weg werden, den Gegner mit Leichtigkeit zu besiegen.
Elftes Kapitel: Angriff eines Gebirges
Was ein Gebirge in den allgemeinen strategischen Beziehungen ist, sowohl bei der Verteidigung als selbst beim Angriff, geht hinreichend aus dem fünften und den folgenden Kapiteln des sechsten Buchs hervor. Auch die Rolle, welche ein Gebirge als eigentliche Verteidigungslinie spielt, haben wir dort zu entwickeln gesucht, und daraus geht schon hervor, wie dasselbe in dieser Bedeutung von seiten des Angriffs zu betrachten ist. Es bleibt uns daher über diesen wichtigen Gegenstand hier wenig zu sagen übrig. Unser Hauptresultat war dort: daß die Verteidigung den ganz verschiedenen Gesichtspunkt eines untergeordneten Gefechts oder einer Hauptschlacht annehmen muß, daß im ersten Fall der Angriff eines Gebirges nur als ein notwendiges Übel betrachtet werden kann, weil er alle Verhältnisse gegen sich hat, daß aber im zweiten Fall sich die Vorteile auf Seite des Angriffs befinden.
Ein Angriff also, der mit den Kräften und dem Entschluß zu einer Schlacht ausgerüstet ist, wird seinem Gegner im Gebirge begegnen und gewiß seine Rechnung dabei finden.
Aber wir müssen auch hier noch einmal darauf zurückkommen, daß es schwer sein wird, diesem Resultat Gehör zu verschaffen, weil es gegen den Augenschein und auf den ersten Blick auf gegen alle Kriegserfahrung läuft. Noch in den meisten Fällen hat man nämlich gesehen, daß eine zum Angriff vordringende Armee, sie mag nun eine Hauptschlacht suchen oder nicht, es für ein unerhörtes Glück gehalten hat, wenn der Feind das Zwischengebirge nicht besetzt hatte, und sie beeilte sich dann, ihm zuvorzukommen, und niemand wird in diesem Zuvorkommen einen Widerspruch mit dem Interesse des Angreifenden finden. Dies ist auch in unserer Ansicht sehr zulässig, nur muß man hier genauer unterscheiden.
Eine Armee, die dem Feinde entgegengeht, um ihm eine Hauptschlacht zu liefern, wird, wenn sie ein unbesetztes Gebirge zu überschreiten hat, die natürliche Besorgnis haben, daß der Feind nur eben diejenigen Pässe, welcher sie sich dazu bedienen will, im letzten Augenblick verrennt; in diesem Fall würden für den Angreifenden nicht mehr dieselben Vorteile vorhanden sein, die ihm eine gewöhnliche Gebirgsstellung des Feindes dargeboten hätte. [537] Dieser ist nämlich dann nicht mehr übernatürlich ausgedehnt, ist nicht mehr ungewiß über den Weg, welchen der Angreifende einschlägt, der Angreifende hat die Wahl seiner Straßen nicht mit Rücksicht auf die feindliche Aufstellung wählen können, und es ist also diese Schlacht im Gebirge nicht mehr mit allen den Vorzügen für den Angreifenden ausgerüstet, von denen wir im sechsten Buche gesprochen haben; unter solchen Umständen könnte der Verteidiger in einer unangreifbaren Stellung gefunden werden. Sonach würde ja dem Verteidiger auf diese Weise doch das Mittel zu Gebot stehen, einen vorteilhaften Gebrauch für seine Hauptschlacht aus dem Gebirge zu ziehen. - Möglich wäre dies allerdings, aber wenn man die Schwierigkeiten bedenkt, die es für den Verteidiger haben würde, sich im letzten Augenblick in einer guten Stellung im Gebirge festzusetzen, zumal wenn er es vorher ganz unbesetzt gelassen hätte, so wird man wohl dieses Verteidigungsmittel für ein ganz unzuverlässiges, und also auch den Fall,
Weitere Kostenlose Bücher