Vom Kriege
Linien an Länge fehlt, ersetzt einigermaßen die Länge der Zeit, welche man auf diese Bekämpfung des Gegners verwenden kann; darum wird also die Deckung seiner strategischen Flanken ein wichtiger Gegenstand des Angreifenden. Wenn also zwischen dem Angreifenden und Verteidiger ein Kampf der Art entsteht, ein Überbieten, so muß der Angreifende seine natürlichen Nachteile durch seine Überlegenheit gutmachen. Bleibt dem ersteren noch soviel Vermögen und Entschluß, einmal einen bedeutenden Streich gegen ein feindliches Korps oder die feindliche Hauptarmee selbst zu wagen, so wird er sich durch diese Gefahr, die er über seinem Gegner schweben läßt, noch am besten decken können.
5. Schließlich müssen wir noch eines bedeutenden Vorteils gedenken, den in Kriegen dieser Art der Angreifende allerdings über seinen Gegner hat, nämlich ihn seiner Absicht und seinem Vermögen nach besser beurteilen zu können, als dies umgekehrt der Fall ist. In welchem Grade ein Angreifender unternehmend und dreist sein wird, ist viel schwerer vorherzusehen, als ob der Verteidiger etwas Großes im Sinn führt. Gewöhnlich liegt, praktisch genommen, schon in der Wahl dieser Kriegsform eine Garantie, daß man nichts Positives wolle; außerdem sind die Anstalten zu einer großen Reaktion von den gewöhnlichen Verteidigungsanstalten viel verschiedener als die Anstalten des Angriffs bei größeren oder geringeren Absichten; endlich ist der Verteidiger genötigt, seine Maßregeln früher zu nehmen und der Angreifende in dem Vorteil der Hinterhand.
Siebzehntes Kapitel: Angriff von Festungen
Der Angriff von Festungen kann uns natürlich nicht von der Seite der fortifikatorischen Arbeiten hier beschäftigen, sondern: erstens in Beziehung auf den damit verbundenen strategischen Zweck; zweitens auf die Wahl unter mehreren Festungen; drittens auf die Art, die Belagerung zu decken.
Daß der Verlust einer Festung die feindliche Verteidigung schwächt, besonders dann, wenn sie ein wesentliches Stück derselben ausgemacht hat, [550] daß dem Angreifenden aus ihrem Besitz große Bequemlichkeiten entspringen, indem er sie zu Magazinen und Depots gebrauchen, Landstriche und Quartiere dadurch decken kann usw., daß sie, wenn sein Angriff zuletzt in die Verteidigung übergehen sollte, die stärksten Stützen dieser Verteidigung werden: alle diese Beziehungen, welche die Festungen zu den Kriegstheatern in dem Fortgang des Krieges haben, lassen sich hinreichend aus dem erkennen, was wir im Buch von der Verteidigung über die Festungen gesagt haben, der Reflex davon wird das nötige Licht über den Angriff verbreiten.
Auch in Beziehung auf die Eroberung fester Plätze findet ein großer Unterschied zwischen den Feldzügen mit einer großen Entscheidung und den andern statt. Dort ist diese Eroberung immer als ein notwendiges Übel anzusehen. Man belagert nur, was man schlechterdings nicht unbelagert lassen kann, solange man nämlich noch etwas zu entscheiden hat. Nur wenn die Entscheidung ganz gegeben, die Krise, die Spannung der Kräfte auf geraume Zeit vorüber, und also ein Zustand der Ruhe eingetreten ist: dann dient die Eroberung der festen Plätze als eine Konsolidierung der gemachten Eroberung, und dann kann sie meistens, zwar nicht ohne Anstrengung und Kraftaufwand, aber doch ohne Gefahr, ausgeführt werden. In der Krise selbst ist die Belagerung einer Festung eine hohe Steigerung derselben zum Nachteil des Angreifenden; es ist augenscheinlich, daß nichts so sehr seine Kräfte schwächt und also nichts so gemacht ist, ihm auf eine Zeitlang sein Übergewicht zu rauben. Aber es gibt Fälle, wo die Eroberung einer oder der andern Festung ganz unerläßlich ist, wenn der Angriff überhaupt fortschreiten soll, und in diesen ist das Belagern als ein intensives Fortschreiten des Angriffs zu betrachten; die Krise wird dann um so größer, je weniger vorher schon entschieden ist. Was über diesen Gegenstand noch in Betrachtung zu ziehen ist, gehört in das Buch vom Kriegsplan.
In den Feldzügen mit einem beschränkten Ziel ist die Festung gewöhnlich nicht das Mittel, sondern der Zweck selbst; sie wird als eine selbständige kleine Eroberung angesehen und als solche hat sie folgende Vorzüge vor jeder andern:
1. Daß die Festung eine kleine, sehr bestimmt begrenzte Eroberung ist, die nicht zu einer größeren Kraftanstrengung nötigt und also keinen Rückschlag befürchten lässt.
2. Daß sie beim Frieden als Äquivalent so gut geltend zu machen
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