Vom Kriege
Anstrengungen nötig wären, um den Sieg zu unterstützen. Wirft man einen allgemeinen Blick auf diese verschiedenen einander entgegengesetzten Prinzipien, so ergibt sich ohne Zweifel, daß die Benutzung des Sieges, das Vorschreiten in dem Angriffskriege in der Allgemeinheit der Fälle die Überlegenheit vereinzelt, mit welcher man angefangen oder die man durch den Sieg erworben hat.
Hier muß uns notwendig die Frage einfallen - wenn dem so ist, was treibt nun den Sieger zum Verfolgen seiner Siegesbahn, zum Vorschreiten in der Offensive? Und kann dies wirklich noch eine Benutzung des Sieges genannt werden? Wäre es nicht besser, da innezuhalten, wo noch gar keine Verringerung des erhaltenen Übergewichts stattgefunden hat?
Hierauf muß man natürlich antworten: das Übergewicht der Streitkräfte ist nicht der Zweck, sondern das Mittel. Der Zweck ist entweder, den Feind niederzumachen oder ihm wenigstens einen Teil seiner Länder zu nehmen, um sich dadurch zwar nicht für den augenblicklichen Stand der Streitkräfte, aber doch für den Stand des Krieges und [569] des Friedens in den Vorteil zu setzen. Selbst wenn wir den Gegner ganz niederwerfen wollen, müssen wir uns gefallen lassen, daß vielleicht jeder Schritt vorwärts unsere Überlegenheit schwächt, woraus aber nicht notwendig folgt, daß sie vor dem Fall des Gegners Null werden müsse; der Fall des Gegners kann vorher eintreten, und ließe sich dieser mit dem letzten Minimum des Übergewichts erreichen, so wäre es ein Fehler, dieses nicht darangewendet zu haben.
Das Übergewicht also, welches man im Kriege hat oder erwirbt, ist nur das Mittel, nicht der Zweck und muß für diesen darangesetzt werden. Aber man muß den Punkt kennen, wohin es reicht, um nicht über diesen hinauszugehen und, anstatt neue Vorteile, Schande zu ernten.
Daß es sich mit dem Erschöpfen des strategischen Übergewichts in dem strategischen Angriff also verhält, darüber brauchen wir besondere Fälle der Erfahrung nicht anzuführen; die Masse der Erscheinungen hat uns vielmehr gedrängt, die inneren Gründe dafür aufzusuchen. Nur seit Bonapartes Erscheinen kennen wir Feldzüge unter gebildeten Völkern, wo das Übergewicht ununterbrochen bis zum Fall des Gegners führte; vor ihm endigte jeder Feldzug damit, daß die siegende Armee einen Punkt zu gewinnen suchte, wo sie sich mit dem bloßen Gleichgewicht erhalten konnte, und daß in diesem die Bewegung des Sieges aufhörte oder auch wohl, daß gar ein Rückzug notwendig wurde. Dieser Kulminationspunkt des Sieges wird nun auch in der Folge in allen Kriegen vorkommen, wo das Niederwerfen des Gegners nicht das kriegerische Ziel sein kann, und so werden doch immer die meisten Kriege sein. Es ist also das natürliche Ziel aller einzelnen Feldzugspläne der Wendepunkt des Angriffs zur Verteidigung.
Nun ist aber das Überschreiten dieses Zieles nicht etwa bloß eine unnütze Kraftanstrengung, die keinen Erfolg mehr gibt, sondern eine verderbliche, welche Rückschläge verursacht, und diese Rückschläge sind nach einer ganz allgemeinen Erfahrung immer von unverhältnismäßiger Wirkung. Diese letztere Erscheinung ist so allgemein, scheint so naturgemäß und dem inneren Menschen verständlich, daß wir uns überheben können, die Ursachen davon umständlich anzugeben. Mangel an Einrichtung in dem eben eroberten Lande und der starke Gegensatz, welchen ein bedeutender Verlust gegen den erwarteten neuen Erfolg in den Gemütern bildet, sind in jedem Fall die hauptsächlichsten. Die moralischen Kräfte, Ermutigung auf der einen Seite, die oft bis zum Übermut steigt, Niedergeschlagenheit auf der andern bekommen hier gewöhnlich ein ungewöhnlich lebhaftes Spiel. Die Verluste beim Rückzug werden dadurch größer, und man dankt in der Regel dem Himmel, wenn man mit der Rückgabe des Eroberten davonkommt, ohne Einbuße vom eigenen Lande zu leiden.
Hier müssen wir einen anscheinenden Widerspruch beseitigen, welcher sich zu ergeben scheint.
Man sollte nämlich glauben, daß, solange das Vorschreiten im Angriff seinen Fortgang hat, auch noch Überlegenheit vorhanden sei, und da die Verteidigung, welche am Ende der Siegeslaufbahn eintritt, eine stärkere Form des Krieges ist als der Angriff, so sei um so weniger Gefahr, daß man unversehens der Schwächere werde. Und doch ist dem also, und wir müssen, wenn wir die Geschichte im Auge haben, daß oft die größte Gefahr des Umschwungs erst eintritt in dem Augenblick, wo der Angriff nachläßt
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