Vom Kriege
und in Verteidigung übergeht. Wir wollen uns nach dem Grunde umsehen.
Die Überlegenheit, welche wir der verteidigenden Kriegsform zugeschrieben haben, liegt:
1. in der Benutzung der Gegend;
2. in dem Besitz eines eingerichteten Kriegstheaters;
3. in dem Beistand des Volkes;
4. in dem Vorteil des Abwartens.
Es ist klar, daß diese Prinzipe nicht immer im gleichen Maße vorhanden und wirksam sein werden, und daß folglich eine Verteidigung der anderen nicht immer gleich ist, daß folglich auch die Verteidigung nicht immer dieselbe Überlegenheit über den Angriff haben wird. Namentlich muß dies der Fall sein bei einer Verteidigung, die nach einem erschöpften Angriff eintritt und deren Kriegstheater gewöhnlich an der Spitze eines weit vorgeschobenen Offensivdreiecks zu liegen kommt. Diese behält von den genannten vier Prinzipien nur das erste, die Benutzung der Gegend, unverändert, das zweite fällt meistens ganz weg, das dritte wird negativ und das vierte wird sehr geschwächt. Nur über das letzte ein paar Worte zur Erläuterung.
Wenn nämlich das eingebildete Gleichgewicht, in welchem oft ganze Feldzüge erfolglos verstreichen, weil der, an welchem das Handeln ist, nicht die notwendige Entschlossenheit besitzt und worin wir den Vorteil des Abwartens finden, - wenn dieses Gleichgewicht durch einen Offensivakt gestört, das feindliche Interesse verletzt, sein Wille zum Handeln hingedrängt ist, so ist die Wahrscheinlichkeit, daß er in müßiger Unentschlossenheit bleiben werde, sehr verringert. Eine Verteidigung, die man auf erobertem Boden einrichtet, hat einen viel mehr herausfordernden Charakter als eine bei sich zu Haus; es wird ihr gewissermaßen das offensive Prinzip eingeimpft und ihre Natur dadurch geschwächt. Die Ruhe, welche Daun Friedrich II. in Schlesien und Sachsen gönnte, würde er ihm in Böhmen nicht gestattet haben.
Es ist also klar, daß die Verteidigung, welche in eine Offensivunternehmung verflochten ist, in allen ihren Hauptprinzipien geschwächt sein und also nicht mehr die Überlegenheit über diese haben wird, welche ihr ursprünglich zukommt.
[571] Wie kein Verteidigungsfeldzug aus bloßen Verteidigungselementen zusammengesetzt ist, so besteht auch kein Angriffsfeldzug aus lauter Angriffselementen, weil außer den kurzen Zwischenperioden eines jeden Feldzugs, in welchen beide Heere sich in der Verteidigung befinden, jeder Angriff, der nicht bis zum Frieden reicht, notwendig mit einer Verteidigung endigen muß.
Auf diese Weise ist es die Verteidigung selbst, welche zur Schwächung des Angriffs beiträgt. Dies ist so wenig eine müßige Spitzfindigkeit, daß wir es vielmehr als den hauptsächlichsten Nachteil des Angriffs betrachten, dadurch später in eine ganz unvorteilhafte Verteidigung versetzt zu werden.
Und hiermit ist denn erklärt, wie der Unterschied, welcher in der Stärke der offensiven und defensiven Kriegsform ursprünglich besteht, nach und nach geringer wird. Wir wollen nun noch zeigen, wie er ganz verschwinden und auf eine kurze Zeit in die entgegengesetzte Größe übergehen kann.
Will man uns erlauben, einen Hilfsbegriff aus der Natur herbeizurufen, so werden wir uns kürzer fassen können.
Es ist die Zeit, welche in der Körperwelt jede Kraft braucht, um sich wirksam zu zeigen. Eine Kraft, die hinreichend wäre, einen bewegten Körper aufzuhalten, wenn sie langsam und nach und nach angewendet wird, wird von ihm überwältigt werden, wenn es an Zeit fehlt. Dieses Gesetz der Körperwelt ist ein treffendes Bild für manche Erscheinung unseres inneren Lebens. Sind wir einmal zu einer gewissen Richtung des Gedankenzuges angeregt, so ist nicht jeder an sich hinreichende Grund imstande, eine Veränderung oder ein Innehalten hervorzubringen. Es ist Zeit, Ruhe, nachhaltiger Eindruck des Bewußtseins erforderlich. So ist es auch im Kriege. Hat die Seele einmal eine bestimmte Richtung fort zum Ziele oder zurückgewendet nach einem Rettungshafen, so geschieht es leicht, daß die Gründe, welche den einen zum Innehalten nötigen, den anderen zum Unternehmen berechtigen, nicht leicht in ihrer ganzen Stärke gefühlt werden, und da die Handlung indes fortschreitet, so kommt man im Strom der Bewegung über die Grenze des Gleichgewichts, über die Kulminationslinie hinaus ohne es gewahr zu werden; ja es kann geschehen, daß dem Angreifenden, unterstützt von den moralischen Kräften, die vorzugsweise im Angriff liegen, das Weiterschreiten trotz der erschöpften Kraft
Weitere Kostenlose Bücher