Vom Kriege
in den neueren Schriftstellern sehr häufig gebraucht und sogar mit der Prätension, etwas Eigentümliches dadurch zu bezeichnen, - guerre d’invasion kommt bei den Franzosen unaufhörlich vor. Sie bezeichnen damit jeden in das feindliche Land weit vorgehenden Angriff und möchten ihn allenfalls als Gegensatz aufstellen von einem methodischen, d. h. einem, der nur an der Grenze nagt. Aber dies ist ein unphilosophischer Sprachwirrwarr. Ob ein Angriff an der Grenze bleiben, tief in das feindliche Land vordringen, ob er sich mit der Einnahme der festen Plätze vor allem beschäftigen oder den Kern der feindlichen Macht aufsuchen und unablässig verfolgen soll, hängt nicht von einer Manier ab, sondern ist Folge der Umstände, wenigstens kann die Theorie es nicht anders einräumen. In gewissen Fällen kann das weite Vordringen methodischer und sogar vorsichtiger sein als das Verweilen an der Grenze, in den meisten Fällen aber ist es nichts anderes als eben der glückliche Erfolg eines mit Kraft unternommenen Angriffs und folglich von diesem nicht verschieden.
Über den Kulminationspunkt des Sieges
Nicht in jedem Kriege ist der Sieger imstande, den Gegner völlig niederzuwerfen. Es tritt oft und meistens ein Kulminationspunkt des Sieges ein. Die Masse der Erfahrungen zeigt dies hinlänglich; weil aber der Gegenstand für die Theorie des Krieges besonders wichtig und der Stützpunkt fast aller Feldzugspläne ist, weil dabei auf seiner Oberfläche wie bei schillernden Farben ein Lichtspiel von scheinbaren Widersprüchen schwebt, so wollen wir ihn schärfer ins Auge fassen und uns mit den inneren Gründen beschäftigen.
Der Sieg entspringt in der Regel schon aus einem Übergewicht der Summe aller physischen und moralischen Kräfte, unstreitig vermehrt er dieses Übergewicht, denn sonst würde man ihn nicht suchen und teuer erkaufen. Dies tut der Sieg selbst unbedenklich, auch seine Folgen tun es, aber diese nicht bis ans äußerste Ende, sondern meistens nur bis auf einen gewissen Punkt. Dieser Punkt kann sehr nahe liegen und liegt zuweilen so nahe, daß die ganzen Folgen der siegreichen Schlacht sich auf die Vermehrung der moralischen Überlegenheit beschränken können. Wie das zusammenhängt, haben wir zu untersuchen.
In dem Fortschreiten des kriegerischen Aktes begegnet die Streitkraft unaufhörlich Elementen, die sie vergrößern und andern, die sie verringern. Es kommt also auf das Übergewicht an. Da jede Verminderung der Kraft als eine Vermehrung der feindlichen anzusehen ist, so folgt hieraus von selbst, daß dieser doppelte Strom von Zu- und Abfluß beim Vorgehen wie beim Zurückgehen stattfinde.
Es kommt darauf an, die hauptsächlichste Ursache dieser Veränderung in dem einen Fall zu untersuchen, um über den anderen mit entschieden zu haben.
Beim Vorgehen sind die hauptsächlichsten Ursachen der Verstärkung:
1. Der Verlust, welchen die feindliche Streitkraft erleidet, weil er gewöhnlich größer ist als der unserige.
2. Der Verlust, welchen der Feind an toten Streitkräften, als: Magazinen, Depots, Brücken usw. erleidet, und den wir gar nicht mit ihm teilen.
3. Von dem Augenblick an, wo wir das feindliche Gebiet betreten, der Verlust von Provinzen, folglich von Quellen neuer Streitkraft.
4. Für uns der Gewinn eines Teiles dieser Quellen; mit anderen Worten: der Vorteil, auf Kosten des Feindes zu leben.
5. Der Verlust des inneren Zusammenhanges und der regelmäßigen Bewegung aller Teile beim Feinde.
6. Die Verbündeten des Gegners lassen von ihm los, und andere wenden sich uns zu.
7. Endlich Mutlosigkeit des Gegners, wobei ihm die Waffen zum Teil aus den Händen fallen.
Die Ursachen der Schwächung sind:
1. Daß wir genötigt sind, feindliche Festungen zu belagern, zu berennen oder zu beobachten; oder daß der Feind vor dem Siege dasselbe tat und beim Rückzug diese Korps an sich zieht.
2. Von dem Augenblick an, wo wir das feindliche Gebiet betreten, ändert sich die Natur des Kriegstheaters, es wird feindlich; wir müssen dasselbe besetzen, denn es gehört uns nur so weit, wie wir es besetzt haben, und doch bietet es der ganzen Maschine überall Schwierigkeiten dar, die notwendig zur Schwächung ihrer Wirkungen führen müssen.
3. Wir entfernen uns von unsern Quellen, während der Gegner sich den seinigen nähert; dies verursacht Aufenthalt in dem Ersatz der ausgegebenen Kräfte.
4. Die Gefahr des bedrohten Staats ruft andere Mächte zu seinem Schutz auf.
5. Endlich größere Anstrengung
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