Vom Kriege
machen, ja daß, wenn wir uns streng an die allgemeine Wahrheit halten wollen, es von einem Stationspunkt aus, den wir aus Schwäche haben suchen müssen, in der Regel keinen zweiten Anlauf zum Ziele gibt, daß, wenn dieser zweite Anlauf möglich ist, die Station nicht notwendig war, und daß, wo ein Ziel für die Kräfte von Hause aus zu weit ist, es auch immer zu weit bleiben wird.
Wir sagen, so sieht die allgemeine Wahrheit aus, und wollen damit nur die Idee entfernen, als könne die Zeit an und für sich etwas zum Besten der Angreifenden tun. Da sich aber von einem Jahr zum andern die politischen Verhältnisse ändern können, so werden darum allein schon häufig Fälle vorkommen, die sich dieser allgemeinen Wahrheit entziehen.
Es hat vielleicht das Ansehen, als hätten wir unsern Gesichtspunkt verloren und nur den Angriffskrieg im Auge gehabt; dies ist aber gar nicht unsere Meinung. Freilich wird derjenige, welcher sich die völlige Niedermachung seines Gegners zum Ziele setzen kann, nicht leicht in dem Falle sein, zur Verteidigung seine Zuflucht zu nehmen, deren nächstes Ziel nur die Erhaltung des Besitzes ist; allein da wir durchaus dabei beharren müssen, eine Verteidigung ohne alles positive Prinzip in der Strategie wie in der Taktik für [600] einen inneren Widerspruch zu erklären, und also immer wieder darauf zurückkommen, daß jede Verteidigung nach Kräften suchen wird, zum Angriff überzugehen, sobald sie die Vorteile der Verteidigung genossen hat, so müssen wir unter das Ziel, welches dieser Angriff haben kann, und welches als das eigentliche Ziel der Verteidigung zu betrachten ist, wie groß oder wie klein es sei, doch auch möglicherweise die Niederwerfung des Feindes aufnehmen und sagen, daß es Fälle geben kann, wo der Kriegführende, ungeachtet er ein so großes Ziel im Auge hatte, es doch vorzog, sich anfangs der verteidigenden Form zu bedienen. Daß diese Vorstellung nicht ohne Realität sei, läßt sich durch den Feldzug von 1812 leicht beweisen. Der Kaiser Alexander hat vielleicht nicht daran gedacht, durch den Krieg, in welchen er sich einließ, seinen Gegner ganz zugrunde zu richten, wie es nachher geschehen ist, aber wäre ein solcher Gedanke unmöglich gewesen? Und würde es nicht dabei immer sehr natürlich geblieben sein, daß die Russen den Krieg verteidigungsweise anfingen?
Fünftes Kapitel: Fortsetzung. Beschränktes Ziel
Wir haben im vorigen Kapitel gesagt, wie wir unter Niederwerfung des Feindes das eigentliche absolute Ziel des kriegerischen Aktes verstehen, wenn wir es für zulässig halten; jetzt wollen wir betrachten, was übrig bleibt, wenn die Bedingungen der Zulässigkeit nicht erfüllt sind.
Diese Bedingungen setzen eine große physische oder moralische Überlegenheit oder einen großen Unternehmungsgeist, einen Hang zu großen Wagnissen voraus. Wo nun dies alles nicht ist, kann das Ziel des kriegerischen Aktes nur von zweierlei Art sein: entweder die Eroberung irgendeines kleinen oder mäßigen Teiles der feindlichen Länder, oder das Erhalten des eigenen bis zu besseren Augenblicken; dies letztere ist der gewöhnliche Fall des Verteidigungskrieges.
Wo das eine oder das andere von rechter Art sei, daran erinnert uns schon der Ausdruck, welchen wir bei dem letzten gebraucht haben. Das Abwarten bis zu besseren Augenblicken setzt voraus, daß wir von der Zukunft dergleichen zu erwarten haben, und es ist also dieses Abwarten, d. h. der Verteidigungskrieg, allemal durch diese Aussicht motiviert; dagegen ist allemal der Angriffskrieg, d. h. die Benutzung des gegenwärtigen Augenblicks da geboten, wo die Zukunft nicht uns, sondern dem Feinde bessere Aussichten gewährt.
[601] Der dritte Fall, welcher vielleicht der gewöhnlichste ist, würde der sein, wo beide Teile von der Zukunft nichts Bestimmtes zu erwarten haben, wo also aus ihr such kein Bestimmungsgrund genommen werden kann. In diesem Fall ist der Angriffskrieg offenbar demjenigen geboten, der politisch der Angreifende ist, d. h. der den positiven Grund hat; denn für diesen Zweck hat er sich bewaffnet, und alle Zeit, die verlorengeht ohne hinreichendes Motiv, geht ihm verloren.
Wir haben hier aus Gründen für den Angriffs- oder Verteidigungskrieg entschieden, die mit dem Machtverhältnis weiter nichts zu tun haben, und es könnte doch viel natürlicher scheinen, dies wohl hauptsächlich von dem Machtverhältnis abhängen zu lassen; wir glauben aber, daß man gerade dann vom rechten Wege abkommen würde. Die
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