Vom Kriege
einen solchen Erfolg nicht Feinde zu erwecken, die uns auf der Stelle zwingen können, von dem ersten Gegner abzulassen.
Frankreich konnte im Jahre 1806 Preußen völlig niederwerfen, wenn es sich auch dadurch die ganze russische Kriegsmacht auf den Hals zog, denn es war imstande, sich in Preußen gegen Rußland zu wehren.
Eben das konnte Frankreich 1808 in Spanien in Beziehung auf England, aber nicht in Beziehung auf Österreich. Es mußte 1809 sich in Spanien beträchtlich schwächen und würde es ganz haben aufgeben müssen, wenn es nicht gegen Österreich schon eine zu große physische und moralische Überlegenheit gehabt hätte.
Jene drei Instanzen muß man sich also wohl überlegen, um nicht vor der letzten den Prozeß zu verlieren, den man vor den früheren gewonnen hat, und dann in die Kosten verurteilt zu werden.
Bei dieser Überlegung der Kräfte und dessen, was damit ausgerichtet werden kann, stellt sich häufig der Gedanke ein, nach einer dynamischen Analogie, die Zeit als einen Faktor der Kräfte anzusehen und zu meinen: die halbe Anstrengung, die halbe Summe von Kräften würde hinreichen, in zwei Jahren das zustande zu bringen, was in einem nur mit dem Ganzen errungen werden konnte. Diese Ansicht, welche, bald klar, bald dunkel den kriegerischen Entwürfen zugrunde liegt, ist durchaus falsch.
Der kriegerische Akt braucht seine Zeit wie jedes Ding auf Erden; man kann nicht in acht Tagen zu Fuß von Wilna nach Moskau gehen, das versteht sich; aber von einer Wechselwirkung zwischen Zeit und Kraft, wie sie in der Dynamik stattfindet, ist hier keine Spur.
Die Zeit ist beiden Kriegführenden nötig, und es fragt sich nur: welcher von beiden wird, seiner Stellung nach am ersten besondere Vorteile von ihr zu erwarten haben; dies aber ist, die Eigentümlichkeit des einen Falles gegen den andern aufgewogen, offenbar der Unterliegende; freilich nicht nach dynamischen, aber nach psychologischen Gesetzen. Neid, Eifersucht, Besorgnis, auch wohl hin und wieder Edelmut sind die natürlichen Fürsprecher des Unglücklichen, sie werden ihm auf der einen Seite Freunde erwecken, auf der andern das Bündnis seiner Feinde schwächen und trennen. Es wird sich also mit der Zeit eher für den Eroberten etwas Vorteilhaftes ergeben als für den Erobernden. Ferner ist zu bedenken, daß die Benutzung eines ersten Sieges, wie wir anderswo gezeigt haben, einen großen Kraftaufwand erfordert; dieser will nicht bloß gemacht, er will wie ein großer Hausstand unterhalten sein; nicht immer sind die Staatskräfte, welche uns den Besitz feindlicher Provinzen zugeführt, hinreichend, diese Mehrausgaben auszugleichen, nach und nach wird die Anstrengung schwieriger, zuletzt kann sie unzureichend werden, die Zeit also von selbst einen Umschwung herbeiführen.
Was Bonaparte im Jahr 1812 von Russen und Polen an Geld und andern Mitteln zog, konnte ihm das Hunderttausende von Menschen verschaffen, die er hätte nach Moskau senden müssen, um sich zu behaupten?
Sind die eroberten Provinzen aber bedeutend genug, liegen in ihnen Punkte, die für die nicht eroberten wesentlich sind, so daß das Übel wie ein Krebsschaden von selbst weiterfrißt, so ist es freilich möglich, daß der Erobernde bei diesem Zustande, wenn auch nichts weiter geschieht, mehr gewinnt als verliert. Wenn nun keine Hilfe von außen kommt, so kann die Zeit das angefangene Werk vollenden; was noch nicht erobert war, wird vielleicht von selbst nachfallen. So kann also die Zeit auch ein Faktor seiner Kräfte werden, aber dies ist der Fall, wo dem Unterliegenden kein Rückstoß mehr möglich, wo ein Umschwung nicht mehr denkbar war, und wo also dieser Faktor seiner Kräfte für den Eroberer keinen Wert mehr hat; denn er hat die Hauptsache getan, die Gefahr der Kulmination war vorüber, mit einem Wort, der Gegner war schon niedergeworfen.
Wir haben durch dieses Räsonnement klarmachen wollen, daß keine Eroberung schnell genug erobert werden kann; daß ihre Verteilung auf einen größeren Zeitraum, als absolut nötig, um die Handlung zu vollbringen, sie nicht erleichtert, sondern erschwert. Ist diese Behauptung richtig, so ist es auch die: daß, wenn man überhaupt stark genug ist, eine gewisse Eroberung zu vollbringen, man es auch sein müsse, um sie in einem Zuge zu machen, ohne Zwischenstation. Daß unbedeutende Ruhepunkte, um die Kräfte zu sammeln, um eine und die andere Maßregel zu treffen, hier nicht gemeint sind, versteht sich von selbst.
Mit dieser Ansicht, die
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