Vom Kriege
dem Angriffskriege einen Charakter des raschen, unaufhaltsamen Entscheidens als wesentlich beilegt, glauben wir diejenige Meinung in ihren Quellen umgangen zu haben, die der unverhaltenen, [598] fortschreitenden Eroberung eine langsame, sogenannte methodische als mehr gesichert und vorsichtiger gegenüberstellt. Aber unsere Behauptung hat vielleicht selbst für diejenigen, die uns willig bis zu ihr gefolgt sind, hinterher so sehr das Ansehen einer paradoxen, ist dem ersten Anschein so sehr entgegen und greift eine Meinung an, die als ein altes Vorurteil so tief gewurzelt, in Büchern tausendmal wiederholt worden ist, daß wir es für geraten halten, die Scheingründe, welche uns entgegentreten, näher zu untersuchen.
Freilich ist es leichter, ein nahes Ziel zu erreichen als ein entferntes; aber wenn das nahe unserer Absicht nicht entspricht, so folgt noch nicht, daß ein Abschnitt, ein Ruhepunkt uns in den Stand setzt, die zweite Hälfte des Weges leichter zu durchlaufen. Ein kleiner Sprung ist leichter als ein großer, aber darum wird doch niemand, der über einen breiten Graben setzen will, zuerst mit einem halben Sprung hineinspringen.
Wenn wir näher ins Auge fassen, was dem Begriff eines sogenannten methodischen Angriffskrieges zugrunde liegt, so sind es gewöhnlich folgende Gegenstände:
1. Eroberung der feindlichen Festungen, auf welche man stößt.
2. Aufhäufung nötiger Vorräte.
3. Befestigung wichtiger Punkte, als: Niederlagen, Brücken, Stellungen usw.
4. Ausruhen der Kräfte im Winter und Erholungsquartiere.
5. Abwarten der Verstärkungen des folgenden Jahres.
Setzt man zur Erreichung aller dieser Zwecke einen förmlichen Abschnitt im Laufe des Angriffs, einen Ruhepunkt in der Bewegung fest, so glaubt man, eine neue Basis und neue Kräfte zu gewinnen, als rückte der eigene Staat hinter seiner Armee her, und als erhielte diese mit jedem neuen Feldzuge eine neue Schwungkraft.
Alle diese preislichen Zwecke mögen den Angriffskrieg bequemer machen, aber sie machen ihn nicht in seinen Folgen sicherer, und sind meistens nur Scheinbenennungen für gewisse Gegengewichte im Gemüte des Feldherrn oder in der Unentschlossenheit des Kabinetts. Wir wollen sie vom linken Flügel her aufzurollen suchen.
1. Das Abwarten neuer Kräfte ist ebensogut, und man kann wohl sagen, mehr der Fall des Gegners. Außerdem liegt es in der Natur der Sache, daß ein Staat an Streitkräften in einem Jahr ziemlich dasselbe aufstellen kann, was er in zweien aufstellt; denn was ihm in diesem zweiten Jahre an Staatskräften wirklich zuwächst, ist im Verhältnis zum Ganzen nur sehr unbedeutend.
2. Ebenso ruht der Gegner sich mit uns zu gleicher Zeit aus.
3. Die Befestigung von Städten und Stellungen ist nicht das Werk des Heeres und also kein Grund zum Aufenthalt.
[599] 4. Wie die Heere sich jetzt verpflegen, sind Magazine mehr nötig, wenn sie still stehen, als wenn sie im Vorschreiten sind. Solange dies glücklich vonstatten geht, kommt man immer in den Besitz feindlicher Vorräte, die da aushelfen, wo die Gegend arm ist.
5. Die Eroberung der feindlichen Festungen kann nicht als ein Innehalten des Angriffs betrachtet werden; es ist ein intensives Vorschreiten, und also der dadurch veranlaßte äußere Stillstand nicht eigentlich der Fall, wovon wir sprechen, nicht ein Aufhalten und Ermäßigen der Kraft. Ob aber die wirkliche Belagerung oder eine bloße Einschließung oder gar eine bloße Beobachtung des einen oder andern das Zweckmäßigste ist, bleibt eine Frage, die erst nach den besonderen Umständen entschieden werden kann. Nur das können wir allgemein sagen, daß bei der Beantwortung dieser Frage lediglich die andere entscheiden muß: ob man durch die bloße Einschließung und weiteres Vorschreiten in zu große Gefahr kommen würde. Wo das nicht ist, wo noch Raum zum Ausbreiten der Kräfte ist, da tut man besser, die förmliche Belagerung bis ans Ende der ganzen Angriffsbewegung aufzusparen. Man muß sich also nicht durch den Gedanken verführen lassen, das Eroberte recht schnell in Sicherheit zu bringen, beiseite zu legen, und darüber Wichtigeres versäumen.
Es hat freilich das Ansehen, als ob man beim weiteren Vorschreiten das Errungene gleich wieder aufs Spiel setzte. - -
Wir glauben also, daß im Angriffskriege kein Abschnitt, kein Ruhepunkt, keine Zwischenstation naturgemäß ist, sondern daß man sie, wo sie unvermeidlich sind, als Übel betrachten muß, die den Erfolg nicht gewisser, sondern ungewisser
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