Vom Kriege
überlegen, daß der Sieg unzweifelhaft ist, so müssen wir sie, d. h. ihre Hauptmacht, wo möglich aufsuchen. Wir sagen wo möglich, denn wenn dieses Aufsuchen zu großen Umwegen, falschen Richtungen und Zeitverlust für uns führte, so könnte es leicht ein Fehler werden. Findet sich die feindliche Hauptmacht nicht auf unserem Wege, und können wir, weil es sonst gegen unser Interesse ist, sie nicht aufsuchen, so dürfen wir sicher sein, sie später zu finden, denn sie wird nicht säumen, sich uns entgegenzuwerfen. Wir werden dann, wie wir eben gesagt haben, unter weniger vorteilhaften Umständen schlagen: ein Übel, dem wir uns unterziehen müssen. Gewinnen wir die Schlacht dennoch, so wird sie um so entscheidender sein.
Hieraus folgt, daß in dem angenommenen Fall ein absichtliches Vorbeigehen der feindlichen Hauptmacht, wenn sie sich schon auf unserem Wege befindet, ein Fehler sein würde, wenigstens insofern man dabei eine Erleichterung des Sieges beabsichtigte.
Dagegen folgt aus dem Obigen, daß man, bei einer sehr entschiedenen Überlegenheit der feindlichen Hauptmacht absichtlich vorbeigehen könne, um späterhin eine entscheidendere Schlacht zu liefern.
Wir haben von einem vollständigen Siege, also von einer Niederlage des Feindes, und nicht von einer bloßen gewonnenen Schlacht gesprochen. Zu einem solchen Siege aber gehört ein umfassender Angriff oder eine Schlacht mit verwandter Front, denn beide geben dem Ausgang jedesmal einen entscheidenden Charakter. Es gehört also zum Wesentlichen des Kriegsplanes, daß wir uns darauf einrichten, sowohl was die Masse der Streitkräfte betrifft, die nötig, als die Richtungen, welche ihnen zu geben sind, wovon das Weitere im Kapitel von dem Feldzugsplan gesagt werden soll.
Daß auch Schlachten mit gerader Front zu vollkommenen Niederlagen führen, ist zwar nicht unmöglich, und es fehlt nicht an Beispielen in der Kriegsgeschichte, allein der Fall ist seltener, und wird immer seltener, je mehr die Heere sich an Ausbildung und an Gewandtheit ähnlicher werden. Jetzt macht man nicht mehr wie bei Blenheim, einundzwanzig Bataillone in einem Dorfe gefangen.
Ist nun der große Sieg erfochten, so soll von keiner Rast, von keinem Atemholen, von keinem Besinnen, von keinem Feststellen usw. die Rede [627] sein, sondern nur von der Verfolgung, von neuen Stößen, wo sie nötig sind, von der Einnahme der feindlichen Hauptstadt, von dem Angriff der feindlichen Hilfsheere, oder was sonst als der Unterstützungspunkt des feindlichen Staates erscheint.
Führt uns der Strom des Sieges an feindlichen Festungen vorbei, so hängt es von unserer Stärke ab, ob sie belagert werden sollen oder nicht. Bei großer Überlegenheit wäre es ein Zeitverlust, sich ihrer nicht so früh als möglich zu bemächtigen; sind wir aber des ferneren Erfolges an der Spitze nicht sicher, so müssen wir uns vor den Festungen mit so wenigem als möglich behelfen, und das schließt die gründliche Belagerung derselben aus. Von dem Augenblick an, wo die Belagerung der Festungen uns zwingt, mit dem Vorschreiten des Angriffs innezuhalten, hat dieser in der Regel seinen Kulminationspunkt erreicht. Wir fordern also ein schnelles rastloses Vordringen und Nachdringen der Hauptmacht; wir haben es schon verworfen, daß dieses Vorschreiten auf dem Hauptpunkte sich nach dem Erfolg auf den Nebenpunkten richte; die Folge wird also sein, daß in allen gewöhnlichen Fällen unser Hauptheer nur einen schmalen Landstrich hinter sie behält, welchen es sein nennen kann, und der also sein Kriegstheater ausmacht. Die Art, wie dies die Stoßkraft an der Spitze schwächt, die Gefahren, welche dem Angreifenden daraus erwachsen, haben wir früher gezeigt. Wird diese Schwierigkeit, wird dieses innere Gegengewicht nicht einen Punkt erreichen können, der das weitere Vordringen hemmt? Allerdings kann das sein. Aber so wie wir oben behauptet haben, daß es ein Fehler wäre, von Hause aus dieses verengte Kriegstheater vermeiden zu wollen und um dieses Zweckes willen dem Angriff seine Schnellkraft zu benehmen, so behaupten wir auch jetzt: solange der Feldherr seinen Gegner noch nicht niedergeworfen hat, solange er glaubt, stark genug zu sein, um das Ziel zu gewinnen, solange muß er es verfolgen. Er tut es vielleicht mit steigender Gefahr, aber auch mit steigender Größe des Erfolgs. Kommt ein Punkt, wo er es nicht wagt, weiterzugehen, wo er glaubt, für seinen Rücken sorgen zu müssen, sich rechts und links auszubreiten -
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