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Vom Kriege

Vom Kriege

Titel: Vom Kriege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl von Clausewitz
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Ziel, welches er sich bei diesem Kriege stecken konnte.
    Er führte also seine Hauptmacht gegen die Hauptmacht der Russen, die vor ihm zurück über das Lager von Drissa hinstolperte und erst bei Smolensk zum Stehen kam. Er riß Bagration mit fort, schlug beide und nahm Moskau ein. Er handelte hier, wie er immer gehandelt hatte; nur auf diese Weise war er der Gebieter Europas geworden und nur auf diese Weise hatte er es werden können.
    Wer also Bonaparte in allen seinen früheren Feldzügen als den größten Feldherrn bewundert, der soll sich in diesem nicht über ihn erheben.
    Es ist erlaubt, eine Begebenheit nach dem Erfolg zu beurteilen, weil dieser die beste Kritik davon ist (siehe fünftes Kapitel des zweiten Buches), aber dieses bloß aus dem Erfolg gezogene Urteil muß man dann nicht mit menschlicher Weisheit nachweisen wollen. Die Ursachen eines verunglückten Feldzugs aufsuchen, heißt noch nicht, eine Kritik desselben machen; nur wenn man beweist, daß diese Ursachen nicht hätten übersehen oder unbeachtet bleiben sollen, macht man die Kritik und erhebt sich über den Feldherrn.
    Nun behaupten wird, daß, wer in dem Feldzug von 1812 bloß wegen seines ungeheuren Rückschlages eine Absurdität findet, während er beim glücklichen Erfolg darin die erhabensten Kombinationen gesehen hätte, eine völlige Unfähigkeit des Urteils zeigt.
    Wäre Bonaparte in Litauen stehengeblieben, wie die meisten Kritiker gewollt haben, um sich erst der Festungen zu versichern, deren es übrigens, außer dem völlig seitwärts gelegenen Riga kaum eine gab, weil Bobruisk ein kleines unbedeutendes Nest ist, so würde er sich für den Winter in ein trauriges Verteidigungssystem verwickelt haben; dann würden dieselben Leute die ersten gewesen sein, welche ausgerufen hätten: das ist nicht mehr der alte Bonaparte! Wie, nicht einmal zu einer ersten Hauptschlacht hat er es getrieben, er, der seine Eroberungen durch die Siege von Austerlitz und Friedland an den letzten Mauern der feindlichen Staaten zu besiegeln pflegte? Die feindliche Hauptstadt, das entblößte, zum Fall bereite Moskau hat er zu nehmen zaghaft versäumt und dadurch den Kern bestehen lassen, um den sich neuer Widerstand sammeln konnte? Er hat das unerhörte Glück, diesen entfernten, ungeheuren Koloß zu überfallen, wie man eine benachbarte Stadt, oder wie Friedrich der Große das kleine, nahe Schlesien überfällt, und er benutzt diesen Vorteil nicht, hält mitten im Siegeslauf inne, als wenn sich ein böser Geist an seine Fersen gelegt hätte? - So würden die Leute geurteilt haben, denn so sind die Urteile der meisten Kritiker beschaffen.
    Wir sagen: der Feldzug von 1812 ist nicht gelungen, weil die feindliche Regierung fest, das Volk treu und standhaft blieb, weil er also nicht gelingen [630] konnte. Es mag ein Fehler Bonapartes sein, ihn unternommen zu haben, wenigstens hat der Erfolg gezeigt, daß er sich in seinem Kalkül betrogen hat, aber wir behaupten, daß, wenn dieses Ziel gesucht werden sollte, es der Hauptsache nach nicht anders zu erreichen war.
    Anstatt sich im Osten einen endlosen, kostbaren Verteidigungskrieg aufzuladen, wie er ihn schon im Westen zu führen hatte, versuchte Bonaparte das einzige Mittel zum Zweck: mit einem kühnen Schlag dem bestürzten Gegner den Frieden abzugewinnen. Daß seine Armee dabei zugrunde ging, war die Gefahr, welcher er sich dabei unterzog, es war der Einsatz im Spiel, der Preis der großen Hoffnung. Ist diese Zerstörung seiner Streitkräfte durch seine Schuld größer geworden, als nötig gewesen wäre, so ist diese Schuld nicht in das weite Vordringen zu setzen, denn dies war Zweck und unvermeidlich, sondern in die späte Eröffnung des Feldzugs, in die Menschenverschwendung seiner Taktik, in den Mangel an Sorgfalt für den Unterhalt des Heeres und für die Einrichtung der Rückzugsstraße, endlich in den etwas verspäteten Abmarsch von Moskau.
    Daß sich ihm die russischen Armeen an der Beresina vorlegen konnten, um ihm förmlich den Rückzug zu verwehren, ist kein starkes Argument gegen uns. Denn: erstlich hat gerade dies gezeigt, wie schwer das wirkliche Abschneiden zu bewirken ist, da sich der Abgeschnittene unter den ungünstigsten denkbaren Umständen am Ende den Weg noch gebahnt hat, und dieser ganze Akt zur Vergrößerung seiner Katastrophe zwar beigetragen hat, aber sie doch nicht wesentlich ausmachte. Zweitens bot nur die seltene Beschaffenheit der Gegend die Mittel dar, es so weit zu treiben, und ohne

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