Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vom Kriege

Vom Kriege

Titel: Vom Kriege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl von Clausewitz
Vom Netzwerk:
eines eigenen Wahrheitsapparates bedienen, sondern alles durch den natürlichen freien Blick des Geistes ausrichten.
    Aber dieses fromme Bestreben, wenn wir uns den Ausdruck erlauben dürfen, ist leider bisher in den wenigsten kritischen Betrachtungen herrschend gewesen, die meisten sind vielmehr von einer gewissen Eitelkeit zum Ideenprunk fortgezogen worden.
    Das erste Übel, worauf wir häufig stoßen, ist eine unbehilfliche, ganz unzulässige Anwendung gewisser einseitiger Systeme als eine förmliche Gesetzgebung. Aber es ist nie schwer, die Einseitigkeit eines solchen Systems zu zeigen, und das braucht man nur zu tun, um ein für allemal seinen richterlichen Spruch verworfen zu haben. Man hat es hier mit einem bestimmten Gegenstande zu tun, und da die Zahl möglicher Systeme am Ende doch nur klein sein kann, so sind sie an sich auch nur das kleinere Übel.
    Viel größer ist der Nachteil, der in dem Hofstaat von Terminologien, Kunstausdrücken und Metaphern liegt, den die Systeme mit sich schleppen, und der wie loses Gesindel, wie der Troß eines Heeres, von seinem Prinzipal loslassend, sich überall umhertreibt. Wer unter den Kritikern sich nicht zu einem ganzen System erhebt, entweder weil ihm keins gefällt, oder weil er nicht so weit gekommen ist, eins ganz kennenzulernen, der will wenigstens ein Stückchen davon gelegentlich wie ein Lineal anlegen, um zu zeigen, wie fehlerhaft der Gang des Feldherrn war. Die meisten [142] können gar nicht räsonieren, ohne ein solches Fragment wissenschaftlicher Kriegslehre hier und da als Stützpunkt zu brauchen. Die kleinsten dieser Fragmente, die in bloßen Kunstwörtern und Metaphern bestehen, sind oft nichts als Verschönerungsschnörkel der kritischen Erzählung. Nun liegt es in der Natur der Sache, daß alle Terminologien und Kunstausdrücke, welche einem Systeme angehören, ihre Richtigkeit, wenn sie dieselbe wirklich hatten, verlieren, sobald sie, herausgerissen aus demselben, wie allgemeine Axiome gebraucht werden sollen, oder wie kleine Wahrheitskristalle, die mehr Beweiskraft haben als die schlichte Rede.
    So ist es denn gekommen, daß unsere theoretischen und kritischen Bücher statt einer schlichten, einfachen Überlegung, bei welcher der Autor wenigstens immer weiß, was er sagt, und der Leser, was er liest, wimmelnd voll sind von diesen Terminologien, die dunkle Kreuzpunkte bilden, an denen Leser und Autor voneinander abkommen. Aber sie sind oft noch viel Schlimmeres; sie sind oft hohle Schalen ohne Kern. Der Autor selbst weiß nicht mehr deutlich, was er dabei denkt, und beruhigt sich mit dunklen Vorstellungen, die ihm bei der einfachen Rede selbst nicht genügen würden.
    Ein drittes Übel der Kritik ist der Mißbrauch historischer Beispiele und das Prunken mit Belesenheit. Was die Geschichte der Kriegskunst ist, darüber haben wir uns schon ausgesprochen, und wir werden unsere Ansicht über Beispiele und über die Kriegsgeschichte überhaupt noch in besonderen Kapiteln entwickeln. Ein Faktum, welches bloß im Fluge berührt wird, kann zur Vertretung der entgegengesetztesten Ansichten gebraucht werden, und drei oder vier, die aus den entferntesten Zeiten oder Ländern, aus den ungleichartigsten Verhältnissen herbeigeschleppt und zusammengehäuft werden, zerstreuen und verwirren das Urteil meistens, ohne die mindeste Beweiskraft zu haben; denn wenn sie bei Lichte betrachtet werden, so ist es meistens nur Plunder, und die Absicht des Autors, mit Belesenheit zu prunken.
    Was kann aber mit diesen dunklen, halbwahren, verworrenen, willkürlichen Vorstellungen für das praktische Leben gewonnen werden? So wenig, daß die Theorie vielmehr dadurch, solange sie besteht, ein wahrer Gegensatz der Praktik und nicht selten der Spott derer geworden ist, denen im Felde eine große Tüchtigkeit nicht abzusprechen war.
    So hätte es aber unmöglich sein können, wenn sie in einfacher Rede und natürlicher Betrachtung der Gegenstände, welche die Kriegführung ausmachen, dasjenige festzustellen gesucht hätte, was sich feststellen läßt, wenn sie ohne falsche Ansprüche und ungehörigen Pomp wissenschaftlicher Formen und historischer Zusammenstellungen dicht bei der Sache geblieben und mit Leuten, die im Felde durch den natürlichen Blick ihres Geistes die Dinge leiten sollen, Hand in Hand gegangen wäre.
Sechstes Kapitel: Über Beispiele
    Historische Beispiele machen alles klar und haben nebenher in Erfahrungswissenschaften die beste Beweiskraft. Mehr als irgendwo ist

Weitere Kostenlose Bücher