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Vom Kriege

Vom Kriege

Titel: Vom Kriege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl von Clausewitz
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die Theorie der Kriegskunst wirklich auch weiter nichts tun könnte, als daß sie an diese Gegenstände erinnert, daß sie die Notwendigkeit dartut, die moralischen Größen in ihrem ganzen Wert zu würdigen und in die Rechnung mit aufzunehmen, so hätte sie ihre Grenzen schon über dieses Reich der Geister ausgedehnt und durch die Feststellung dieser Gesichtspunkte jeden im voraus verurteilt, der sich bloß mit dem physischen Verhältnis der Kräfte vor ihrem Richterstuhl rechtfertigen wollte.
    Aber auch um aller übrigen sogenannten Regeln willen darf die Theorie die moralischen Größen nicht aus ihren Grenzen verweisen, weil die Wirkungen der physischen Kräfte mit den Wirkungen der moralischen ganz verschmolzen und nicht wie eine metallische Legíerung durch einen chemischen Prozeß davon zu scheiden sind. Bei jeder auf die physischen Kräfte sich be- [160] ziehenden Regel muß der Theorie im Geiste der Anteil vorschweben, den die moralischen Größen dabei haben können, wenn sie sich nicht zu kategorischen Sätzen verleiten lassen soll, die bald zu furchtsam und beschränkt, bald zu anmaßend und ausgedehnt sind. Selbst die geistlosesten Theorien haben, sich selbst unbewußt, in dieses Geisterreich hinüberschweifen müssen; denn es läßt sich z. B. kein Sieg in seinen Wirkungen einigermaßen erklären, ohne auf die moralischen Eindrücke Rücksicht zu nehmen. Und so sind denn auch die meisten Gegenstände, welche wir in diesem Buche durchlaufen, halb aus physischen, halb aus moralischen Ursachen und Wirkungen zusammengesetzt, und man möchte sagen: die physischen erscheinen fast nur wie das hölzerne Heft, während die moralischen das edle Metall, die eigentliche, blank geschliffene Waffe sind.
    Am besten wird der Wert der moralischen Größen überhaupt bewiesen und ihr oft unglaublicher Einfluß gezeigt durch die Geschichte; und dies ist der edelste und gediegenste Nahrungsstoff, den der Geist des Feldherrn aus ihr zieht. - Dabei ist zu bemerken, daß Demonstrationen und kritische Untersuchungen und gelehrte Abhandlungen es weniger sind, als Empfindungen, Totaleindrücke und einzelne sprühende Geistesfunken, die die Weisheitskörner absetzen, welche die Seele befruchten sollen.
    Wir könnten die hauptsächlichsten der moralischen Erscheinungen im Kriege durchgehen und mit der Sorgfalt eines fleißigen Dozenten versuchen, was sich über eine jede Gutes oder Schlechtes beibringen ließe. Aber da man bei dieser Methode nur zu sehr in Gemeinsprüche und Alltäglichkeiten verfällt, während der eigentliche Geist in der Analyse schnell entweicht, so kommt man unvermerkt dazu, Dinge zu erzählen, die jeder Mensch weiß. Wir ziehen es daher vor, hier noch mehr als sonst unvollständig und rhapsodisch zu bleiben, im allgemeinen auf die Wichtigkeit der Sache aufmerksam gemacht und den Geist angedeutet zu haben, in welchem die Ansichten dieses Buches aufgefaßt sind.
Viertes Kapitel: Die moralischen Hauptpotenzen
    Sie sind: die Talente des Feldherrn, kriegerische Tugend des Heeres, Volksgeist desselben. Welcher dieser Gegenstände mehr Wert hat, kann niemand im allgemeinen bestimmen, denn es ist schon an sich schwer, von ihrer Größe überhaupt etwas auszusagen, und noch schwerer, die Größe des einen an der Größe des anderen abzuwägen. Das Beste ist, keinen gering [161] zu achten, wozu das menschliche Urteil in seinem etwas grillenhaften Hin- und Herlaufen bald auf dieser, bald auf jener Seite geneigt ist. Es ist besser, sich für die unverkennbare Wirksamkeit dieser drei Gegenstände hinlängliche historische Zeugnisse aufzustellen.
    Indessen ist es wahr, daß in der neueren Zeit die Heere der europäischen Staaten ziemlich alle auf denselben Punkt von innerer Fertigkeit und Ausbildung gekommen sind, und daß das Kriegführen sich, mit einem Ausdruck des Philosophen, so naturgemäß ausgebildet hat, dabei zu einer Art Methode geworden ist, die ziemlich alle Heere innehaben, daß auch von seiten des Feldherrn auf die Anwendung besonderer Kunstmittel im engeren Sinn (etwa wie Friedrichs des Zweiten schiefe Schlachtordnung) nicht mehr zu rechnen ist. Es ist also nicht zu leugnen, daß, wie die Sachen jetzt stehen, dem Volksgeist und der Kriegsgewohnheit des Heeres ein um so größerer Spielraum bleibt. Ein langer Friede könnte dies wieder ändern.
    Der Volksgeist des Heeres (Enthusiasmus, fanatischer Eifer, Glaube, Meinung) spricht sich im Gebirgskriege am stärksten aus, wo jeder sich selbst überlassen ist

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