Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Vom Kriege

Vom Kriege

Titel: Vom Kriege Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Carl von Clausewitz
Vom Netzwerk:
Gemütes, nur ohne alles Zutun des Geistes, in einer Art von Leidenschaft ausgeübt. Nur wo die Kühnheit sich gegen den Gehorsam auflehnt, wo sie einen ausgesprochenen höhern Willen geringschätzend verläßt, da muß sie, nicht um ihrer selbst willen, sondern wegen des Ungehorsams wie ein gefährliches Übel behandelt werden, denn nichts geht im Kriege über den Gehorsam.
    Daß bei einem gleichen Grade von Einsicht im Kriege tausendmal mehr verdorben wird durch Ängstlichkeit als durch Kühnheit, das brauchen wir wohl nur auszusprechen, um des Beifalls unserer Leser gewiß zu sein.
    Im Grunde sollte das Hinzutreten eines vernünftigen Zweckes die Kühnheit erleichtern, sie also an und für sich heruntersetzen; und doch ist es gerade umgekehrt.
    Allen Kräften des Gemüts benimmt das Hinzutreten des lichten Gedankens oder gar das Vorherrschen des Geistes, einen großen Teil ihrer Gewalt. Darum wird die Kühnheit immer seltener, je höher wir hinaufsteigen in den Graden; denn wenn auch die Einsicht und der Verstand nicht mit diesen Graden wachsen sollten, so werden doch den Führern in ihren verschiedenen Stationen die objektiven Größen, Verhältnisse und Rücksichten von außen her so viel und stark aufgedrungen, daß sie gerade nur um so mehr davon belastet sind, je weniger es die eigene Einsicht ist. Dies ist im Kriege der hauptsächlichste Grund der in dem französischen Sprichwort bewahrten Lebenserfahrung: Tel brille au second qui s’éclipse au premier. Fast alle Generale, die uns die Geschichte als mittelmäßige oder gar unentschlossene Feldherren kennenlehrt, hatten sich in geringeren Graden durch Kühnheit und Entschlossenheit ausgezeichnet.
    Bei denjenigen Motiven zu einer kühnen Handlung, welche aus dem Drange der Notwendigkeit entspringen, muß man einen Unterschied machen. Diese Notwendigkeit hat ihre Grade. Liegt sie nahe, wird der Handelnde zur Verfolgung seines Zieles zwischen großen Gefahren hingetrieben, um andern, ebenso großen Gefahren zu entgehen, so kann man nur noch die Entschlossenheit bewundern, die aber auch noch ihren Wert hat. Wenn ein junger Mensch, um seine Geschicklichkeit als Reiter zu zeigen, über einen tiefen Abgrund sprengt, so ist es kühn; wenn er denselben Sprung tut, verfolgt von einer Rotte kopfabschneidender Janitscharen, so ist er bloß entschlossen. Je weiter aber die Notwendigkeit von der Handlung entfernt ist, je größer die Zahl der Verhältnisse ist, die der Verstand durchlaufen muß, um sich ihrer bewußt zu werden, um so weniger tut sie der Kühnheit Eintrag. Wenn Friedrich der Große im Jahr 1756 den Krieg als unvermeidlich ansah und seinem Untergang nur entgehen konnte, wenn er seinen Feinden zuvor kam, so war es notwendig, den Krieg selbst anzufangen, aber gewiß zu gleicher [167] Zeit sehr kühn; denn nur wenige Männer in seiner Lage würden sich dazu entschlossen haben.
    Obgleich die Strategie nur das Gebiet der Feldherren oder der Führer in den höchsten Stellen ist, so ist ihr doch die Kühnheit aller übrigen Glieder des Heeres ebensowenig ein gleichgültiger Gegenstand, wie die andern kriegerischen Tugenden desselben. Mit einem Heere, was von einem kühnen Volke ausgegangen, und in welchem der Geist der Kühnheit immer genährt worden ist, lassen sich andere Dinge unternehmen, als mit einem, was dieser kriegerischen Tugend entfremdet ist; darum haben wir derselben auch in betreff des Heeres gedacht. Aber ganz eigentlich ist die Kühnheit des Feldherrn unser Gegenstand, und doch haben wir nicht viel davon zu sagen, nachdem wir diese kriegerische Tugend im allgemeinen nach unserem besten Wissen charakterisiert haben.
    Je höher wir in den Führerstellen hinaufsteigen, um so mehr wird Geist, Verstand und Einsicht in der Tätigkeit vorherrschend, um so mehr wird also die Kühnheit, welche eine Eigenschaft des Gemüts ist, zurückgedrängt, und darum finden wir sie in den höchsten Stellen so selten, aber um so bewunderungswürdiger ist sie auch dann. Eine durch vorherrschenden Geist geleitete Kühnheit ist der Stempel des Helden; diese Kühnheit besteht nicht im Wagen gegen die Natur der Dinge, in einer plumpen Verletzung des Wahrscheinlichkeitsgesetzes, sondern in der kräftigen Unterstützung jenes höheren Kalküls, den das Genie, der Takt des Urteils in Blitzesschnelle und nur halb bewußt durchlaufen hat, wenn er seine Wahl trifft. Je mehr die Kühnheit den Geist und die Einsicht beflügelt, um so weiter reichen diese mit ihrem Flug, um so

Weitere Kostenlose Bücher