Vom Kriege
dieser Punkt beseitigt, so fragt es sich: wachsen die Verluste, welche eine Streitkraft durch Anstrengungen und Entbehrungen erleidet, ebenso wie ihr Umfang, wie das im Gefecht der Fall ist? Und darauf muß man »nein« antworten.
Die Anstrengungen entstehen größtenteils aus den Gefahren, womit jeder Augenblick des kriegerischen Aktes mehr oder weniger durchdrungen ist. Diesen Gefahren überall zu begegnen, in seinem Handeln mit Sicherheit fortzuschreiten, das ist der Gegenstand einer großen Menge von Tätigkeiten, welche den taktischen und strategischen Dienst des Heeres ausmachen. Dieser Dienst wird schwieriger, je schwächer das Heer ist, und leichter, je mehr seine Überlegenheit gegen das feindliche zunimmt. Wer kann das bezweifeln? Ein Feldzug gegen einen viel schwächeren Feind wird also auch geringere Anstrengungen kosten, als gegen einen ebenso starken oder gar stärkeren.
Das sind die Anstrengungen. Etwas anders sieht es mit den Entbehrungen aus. Diese bestehen hauptsächlich in zwei Gegenständen: dem Mangel an Lebensmitteln und dem Mangel beim Unterkommen der Truppen, sei es im Quartier oder in bequemen Lagern. Beide werden allerdings um so größer sein, je zahlreicher das Heer auf demselben Fleck ist. Allein gibt denn nicht gerade die Übermacht auch die besten Mittel, sich auszubreiten und mehr Raum, also auch mehr Mittel des Unterhaltes und des Unterkommens zu finden?
Wenn Bonaparte im Jahre 1812 beim Vordringen in Rußland sein Heer auf eine unerhörte Weise zu großen Massen auf einer Straße vereinigt und dadurch einen ebenso unerhörten Mangel veranlaßt hat, so muß man das seinem Grundsatz zuschreiben: nie stark genug auf dem entscheidenden Punkt sein zu können. Ob er diesen Grundsatz hier übertrieben hat oder nicht, ist eine Frage, die nicht hierher gehört, aber gewiß ist es, daß, wenn er dem dadurch hervorgerufenen Mangel hätte aus dem Wege gehen wollen, er nur in einer größeren Breite vorzugehen brauchte; es fehlte dazu in Rußland nicht an Raum und wird in den wenigsten Fällen daran fehlen. Es kann also hieraus kein Grund hergeleitet werden, um zu beweisen, daß die gleichzeitige Anwendung sehr überlegener Kräfte eine größere Schwächung hervorbringen mußte. Gesetzt nun aber, Wind und Wetter und die unvermeidlichen Anstrengungen des Krieges hätten auch an dem Teil des Heeres, welchen man als eine überschießende Macht allenfalls für einen späteren Gebrauch hätte aufbewahren können, trotz der Erleichterungen, welcher dieser Teil dem Ganzen verschaffte, doch [185] eine Verminderung bewirkt, so muß man doch nun erst alles wieder mit einem Gesamtblick im Zusammenhange auffassen und also fragen: wird diese Verminderung so viel betragen, als der Gewinn an Kräften, welchen wir durch unsere Übermacht auf mehr als einem Wege machen können?
Aber es gibt noch einen sehr wichtigen Punkt zu berühren. In dem Teilgefecht kann man ohne große Schwierigkeit die Kraft ungefähr bestimmen, welche zu einem größeren Erfolg, den man sich vorgesetzt hat, nötig ist, und folglich auch bestimmen, was überflüssig sein würde. In der Strategie ist dies so gut wie unmöglich, weil der strategische Erfolg keinen so bestimmten Gegenstand und keine so nahen Grenzen hat. Was also in der Taktik als ein Überfluß von Kräften angesehen werden kann, muß in der Strategie als ein Mittel betrachtet werden, den Erfolg zu erweitern, wenn sich die Gelegenheit dazu darbietet; mit der Größe des Erfolges aber wachsen die Prozente des Gewinnes, und das Übergewicht der Kräfte kann auf diese Weise schnell zu einem Punkte kommen, welchen die sorgfältigste Ökonomie der Kräfte nie gegeben haben würde.
Vermittelst seiner ungeheuern Überlegenheit gelang es Bonaparte im Jahre 1812, bis Moskau vorzudringen und diese Zentralhauptstadt einzunehmen; wäre es ihm auch vermittelst eben dieser Übermacht noch gelungen, das russische Heer vollkommen zu zertrümmern, so würde er wahrscheinlich einen Frieden in Moskau geschlossen haben, der auf jede andere Weise weniger erreichbar war. Dies Beispiel soll den Gedanken nur erklären, nicht beweisen, welches einer umständlichen Entwicklung bedürfte, wozu hier nicht der Ort ist.
Alle diese Betrachtungen sind bloß auf den Gedanken einer sukzessiven Kraftanwendung gerichtet, und nicht auf den eigentlichen Begriff einer Reserve, welchen sie zwar unaufhörlich berühren, der aber, wie wir im folgenden Kapitel sehen werden, noch mit anderen Vorstellungen
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