Vom Kriege
Gefechten, soweit durchzuführen, daß sie dem Feinde einen Eindruck machen, erfordert schon einen beträchtlichen Aufwand von Zeit und Kräften, und zwar um so mehr, je größer der Gegenstand ist. Weil man diese gewöhnlich nicht daran geben will, darum sind die wenigsten der sogenannten Demonstrationen in der Strategie von der beabsichtigten Wirkung. In der Tat ist es gefährlich, bedeutende Kräfte auf längere Zeit zum bloßen Schein zu verwenden, weil immer die Gefahr bleibt, daß es umsonst geschieht, und man diese Kräfte dann am entscheidenden Ort entbehrt.
Diese nüchterne Wahrheit fühlt der Handelnde im Kriege immer durch, und darum vergeht ihm die Lust zu dem Spiel schlauer Beweglichkeit. Der trockene Ernst der Notwendigkeit drängt meist so in das unmittelbare Handeln hinein, daß für jenes Spiel kein Raum bleibt. Mit einem Wort: es fehlt den Steinen im strategischen Schachbrett die Beweglichkeit, welche das Element der List und Verschlagenheit ist.
Die Folgerung, welche wir ziehen, ist: daß ein richtiger treffender Blick eine notwendigere und nützlichere Eigenschaft des Feldherrn ist als die List, wiewohl diese auch nichts verdirbt, wenn sie nicht auf Unkosten notwendiger Gemütseigenschaften besteht, welches freilich nur zu oft der Fall ist.
Je schwächer aber die Kräfte werden, welche der strategischen Führung unterworfen Bind, um so zugänglicher wird diese der List sein, so daß dem ganz Schwachen und Kleinen, für den keine Vorsicht, keine Weisheit mehr ausreicht, auf dem Punkte, wo ihn alle Kunst zu verlassen scheint, die List sich als die letzte Hilfe desselben anbietet. Je hilfloser seine Lage ist, je mehr sich alles in einen einzigen, verweiflungsvollen Schlag zusammendrängt, um so williger tritt die List seiner Kühnheit zur Seite. Von aller weiteren Berechnung loslassend, von alter späteren Entgeltung befreit, dürfen Kühnheit und List einander steigern und so einen unmerklichen Hoffnungsschimmer auf einen einzigen Punkt vereinigen, zu einem einzigen Strahl, der allenfalls noch zu zünden vermag.
Elftes Kapitel: Sammlung der Kräfte im Raum
Die beste Strategie ist: immer recht stark zu sein, zuerst überhaupt, und demnächst auf dem entscheidenden Punkt. Daher gibt es außer der Anstrengung, welche die Kräfte schafft, und die nicht immer vom Feldherrn ausgeht, kein höheres und einfacheres Gesetz für die Strategie, als das: seine Kräfte zusammenzuhalten. - Nichts soll von der Hauptmasse getrennt sein, was nicht durch einen dringenden Zweck davon abgerufen wird. An dies Kriterium halten wir fest und sehen es als einen zuverlässigen Führer an. Welches die vernünftigen Ursachen einer Teilung der Kräfte sein können, werden wir nach und nach kennenlernen. Dann werden wir auch sehen, daß dieser Grundsatz nicht in jedem Kriege dieselben allgemeinen Folgen haben kann, sondern daß sich diese nach Zweck und Mittel verändern.
Es klingt unglaublich und ist doch hundertmal vorgekommen, daß die Streitkräfte geteilt und getrennt worden sind, bloß nach dem dunklen Gefühl herkömmlicher Manier, ohne deutlich zu wissen, warum.
Erkennt man die Vereinigung der ganzen Streitkräfte als die Norm an und jede Trennung und Teilung als eine Abweichung, die motiviert sein muß, so wird nicht nur jene Torheit ganz vermieden, sondern auch manchem falschen Teilungsgrund der Zutritt versperrt.
Zwölftes Kapitel: Vereinigung der Kräfte in der Zeit
Wir haben es hier mit einem Begriff zu tun, der da, wo er ins tätige Leben ausläuft, mancherlei trügerischen Schein verbreitet; eine klare Feststellung und Durchführung der Vorstellungen ist uns daher Bedürfnis, und so hoffen wir, man wird uns abermals eine kleine Analyse erlauben.
Der Krieg ist ein Stoß entgegengesetzter Kräfte aufeinander, woraus von selbst folgt, daß die stärkere die andere nicht bloß vernichtet, sondern in ihrer Bewegung mit fortreißt. Dies läßt im Grunde keine nachhaltige (sukzessive) Wirkung der Kräfte zu, sondern es muß die gleichzeitige Anwendung aller für einen Stoß bestimmten Kräfte als ein Urgesetz des Krieges erscheinen.
[181] So ist es auch wirklich, aber nur so weit, als der Kampf auch wirklich dem mechanischen Stoße gleicht; wo aber derselbe in einer dauernden gegenseitigen Einwirkung vernichtender Kräfte besteht, da kann allerdings eine nachhaltige Wirkung der Kräfte gedacht werden. Dies ist in der Taktik der Fall, hauptsächlich weil das Feuergefecht die Hauptgrundlage alter Taktik ist, aber
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