Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)
auf einen Zentimeter Tabak.«
»Na, da
freue ich mich, dass du mich trotzdem erkannt hast.«
Wir fielen
uns in die Arme. Jan umarmte mich mit dem linken Arm, den rechten hielt er steif
ausgestreckt wegen der Zigarre.
»Die Pflicht
ruft«, sagte er und zog den linken Ärmel hoch. »Schon 17 Uhr. Eine echte Rolex,
falls es dich interessiert. Siehst du die Monde? Alle aus Gold. Es ist übrigens
genau 17 Uhr. Diese Uhr wird in den nächsten 100 Jahren keine Sekunde falsch gehen.
Ich muss also weiter.«
»Wohin denn,
Jan? Verkaufst du hier solche Uhren?«
Geheimnisvoll
zwinkerte er mir zu, ging zum Tisch und war eine Zeit lang damit beschäftigt, vielen
ähnlich aussehenden Herren so ausgiebig die Hände zu schütteln, als wollten sie
ihre kostspieligen Uhren vergleichen. Dann rief er laut: »Alle hierher schauen und
zuhören. Hiermit eröffne ich die Ausstellung. Als Erstes muss ich sagen, dass ich
alle Bilder für sehr viel Geld gekauft habe.«
»Bravo!«,
rief eine Stimme.
»Wie großzügig!«
»Oh Mann!«
»Klasse!«
Jan bat
um Ruhe. Es folgte eine Aufzählung aller Gemälde und der Preise, die er dafür gezahlt
hatte. Der Security-Mann vom Eingang entpuppte sich als fanatischer Liebhaber der
Landschaftsmalerei. Bei dem kleinsten Aquarell klatschte er sich die Hände wund.
Erst jetzt begriff ich, warum Jan mich eingeladen hatte. Offensichtlich wollte er
mich mit seinem neuen Image als Kunstliebhaber und Mäzen beeindrucken. Inzwischen
war er zum historischen Teil seiner Rede übergegangen, zählte die Namen von Malern
auf, die sich seit dem ausgehenden 18. Jahrhundert von der lieblichen Tallandschaft
des Riesengebirges angezogen fühlten, machte eine Pause und sah in meine Richtung.
»Und jetzt möchte ich den Namen der Person nennen, die für mich die wichtigste ist.«
Mit meinem
elegantesten Hüftschwung trat ich in die Mitte des Salons. Alle starrten mich an.
Das störte mich nicht, ich war es gewohnt, im Mittelpunkt zu stehen. Mit einem beiläufigen
Kopfnicken begrüßte ich die Gäste. Ein Raunen ging durch den Saal. Jan bat um Ruhe
und sagte erhaben: »Der Name lautet: Caspar David Friedrich! Seine faszinierenden
Gemälde unseres Riesengebirges werden eines Tages an diesen meinen Wänden hängen.
So Gott will.«
Ohne mir
etwas anmerken zu lassen, mischte ich mich wieder unter die Gäste und verschwand
auf die Toilette. Die Toilettenfrau verwickelte mich in ein langes, interessantes
Gespräch über das Wetter. Nur ungern verließ ich anschließend ihr kühles Reich und
kehrte in den Saal zurück. Jan war nirgendwo zu sehen. Der Charmeur Kurt zelebrierte
gerade ein klassisches Verführungsritual – Nahrungsbeschaffung und Fütterung. Lächelnd
bot er der Blondine eine Schale mit Schnittchen an. Zu seiner Freude griff sie herzhaft
zu. Vom Büfett nahm ich mir ein Glas Rotwein und blieb dort stehen. Die Temperatur
im Raum war fühlbar gestiegen, die Heiterkeit ebenso. Gläser klirrten ungehemmt,
die Obstpyramide zerfiel in ihre Einzelteile, die vom Tisch hinunterkullerten. Ein
vierbeiniger Kunstliebhaber schnappte sich die herabfallenden Pflaumen. Nach jedem
Fang bekam er einen Schnaps von seinem Herrchen. »Um den Mund zu desinfizieren.«
Der Mann hatte sich mir als ›bester Zahnarzt für dritte Zähne‹ vorgestellt und seine
Beratung empfohlen.
An der Eingangstür
liefen einige Gäste umtriebig hin und her. Eine Frau, die offensichtlich zu tief
ins Glas geschaut hatte, schrie grundlos auf und ging zu Boden, wurde jedoch von
einem Mann aufgefangen. Jan tauchte plötzlich auf und half ihm, die Betrunkene aus
dem Saal an die frische Luft zu tragen. Im Nu war er zurück, kam zu mir und umarmte
mich. »Valeska, ich wäre jetzt so gern allein mit dir.«
Na endlich,
für diesen Satz hatte ich 300 Kilometer in brütender Hitze zurückgelegt. Ich stellte
mein Glas weg und griff nach Mineralwasser. Erotik und Wein sind nicht kompatibel.
Zumindest bei mehr als einem Liter Alkohol pro 50 Kilogramm Körpergewicht. Das oberste
Gebot lautete nun: Nichts übers Knie brechen. Zart und behutsam vorgehen, kein Problem
für mich. Langsam zog ich meinen linken Handschuh aus und wedelte mit ihm spielerisch
vor seinem Gesicht. »Wollen wir zu dir fahren?«
»Jetzt?
Das ist … äh, das geht nicht, Valeska. Hast du die Frau gesehen, die ohnmächtig
geworden ist?«
»Keine Angst,
ich bin fit, wenn du das meinst.«
»Das glaube
ich. Die Frau, das ist Wanda Czarnecka. Sie hat soeben erfahren, dass ihr Mann auf
der
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