Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)
Die Autokarosserie hatte schon vor
langer Zeit ihre jungfräuliche Glätte verloren. Die ersten Kilometer fuhr ich vorsichtig,
beinah ängstlich.
»Und sieh
dir den an! Völlig im Eimer.« Kurt fuchtelte mit seinem ramponierten Tropenhelm
herum.
»Hättest
du doch die stahlverstärkte Ausführung genommen. Für besonders gefährliche Gebiete.«
»Woher soll
ich wissen, dass du auf einer polnischen Landstraße plötzlich zum Rowdy wirst.«
»Ich?! Die
Frau am Steuer der anderen Karre muss vollkommen verrückt sein. Oder blind. Sie
sah auch seltsam aus, ein Kopftuch, dicke Brille. Da du geschlafen hast, konntest
du nicht sehen, wie das Auto aus der Seitenstraße herausschoss. Direkt auf uns zu!«
Kurt bog
die Ränder seines Tropenhelmes gerade, setzte ihn auf und sagte mit Nachdruck: »Erstens,
Valeska Lem, ich habe nicht geschlafen, sondern nachgedacht. Für einen Privatdetektiv
ist es von großer Wichtigkeit, immer über alles Mögliche Überlegungen anzustellen.
Die Umgebung soll man dabei völlig ausblenden. Zweitens: Ich habe dir das Auto für
die Reise geliehen, um deinen Hund zu transportieren. Aber dein Fahrstil und diese
sabbernde Bestie …«
Er zeigte
nach hinten. Ben verstand die Geste als eine direkte Aufforderung zum Kuscheln und
legte seinen Kopf folgsam auf seine Schulter. Kurt erstarrte.
»Ben«, sagte
ich streng. »Du überrumpelst Herrn Schöne mit deinen Gefühlen. Außerdem machst du
seinen neuen Tropenanzug feucht. Nimm deinen Kopf runter.«
Der sonst
gehorsame Hund überhörte meine Worte, er steckte seit einem Jahr in einer Trotzphase,
womöglich infolge meiner Scheidung.
»Ich bekomme
Atemnot«, röchelte Kurt.
Wie kann
man die Zuneigung eines lieben Hundes so grob ausschlagen? Vorsichtig drückte ich
Bens Kopf nach hinten. Weit weg von Kurts Gesicht.
»Der Hund
ist nass«, sagte ich. »Warum?«
Kurt warf
mir hastig einen Blick zu. »Versteh mich nicht falsch, dein Hund hat ein Hasenherz
…«
»Schwachsinn!
So was habe ich noch nie gehört, obwohl Doggenhasser immer wieder neue Gründe erfinden,
um diese Hunde nicht zu mögen. Die arme Kreatur kann nichts dafür, dass sie als
Dogge auf die Welt kam. Ich weiß, du kannst den Hund nicht leiden, aber gleich zu
behaupten, dass er vor Angst Schweißausbrüche bekommt! Hunde können nicht schwitzen,
weißt du das?«
»Nein, nein!«,
protestierte Kurt. »Du hast mich falsch verstanden. Beim Spazieren ist er vor Schreck
in einen Wassergraben gesprungen, weil wir aus dem Dorf eine Detonation gehört haben.
Ein Unfall vielleicht.«
In diesem
Moment hörten wir Polizeisirenen. Ich hielt am Straßenrand an, um die rasenden Polizeiwagen
nicht zu behindern. Endlich waren auch die Feuerwehrautos an uns vorbei, wir fuhren
die Straße aufwärts und glitten dann in die nächste Talsohle hinunter. Nachdem wir
Jelenia Góra durchquert hatten, steuerten wir in Richtung der Berge. Jan hatte für
uns eine Pension mit Blick auf die höchste Erhebung des Riesengebirges, die Schneekoppe,
reserviert. Nach einer halben Stunde waren wir am Ziel. An der steilen Dorfstraße
wurden wir bereits erwartet. Den Zaun vor der Pension schmückte ein Pappschild,
auf dem in roten Lettern ›Witamy w Jagni ą tkowie‹ zu lesen war. Darunter in schwarzer Schrift: ›Willkommen in
Agnetendorf‹. Eine Frau trat aus der Haustür.
Die kleine
Pension glänzte in frischen, bunten Farben. Die Frau ließ sich von der neuen Fassade
aber nicht die Show stehlen. Ihr pink fluoreszierender Lippenstift und der goldene
Lidschatten schillerten umso mehr. Sie sei unsere Pensionswirtin, Agnieszka Kochmann,
wir könnten sie Agnes nennen, stellte sie sich vor. Sie gab mir die Hand, drückte
Kurt fest an ihre Brust und wollte uns unverzüglich in den ersten Stock hinaufführen,
um uns die Zimmer zu zeigen.
»Warten
Sie«, sagte ich. »Da ist noch Ben. Hat Jan Linde nichts von ihm gesagt, als er reserviert
hat?«
»Nein.«
»Na, so
was Idiotisches«, tat ich entrüstet. Dabei wusste ich genau, dass ich den Hund im
Gespräch mit Jan nicht mal erwähnt hatte. Aus Rücksicht auf unsere neu aufkeimenden
Gefühle. Meine Begleitung – ein angehender deutscher Privatdetektiv und eine Deutsche
Dogge – könnten unsere Beziehung gleich zu Anfang auf eine harte Probe stellen.
»Kein Problem«,
sagte die Wirtin fröhlich. »Jeder Gast ist hier willkommen.«
»Tatsächlich?
Toll, Sie sind eine Person ohne Vorurteile. Ich muss Ihnen aber ehrlich gestehen,
dass Ben ziemlich streng riecht. Er ist
Weitere Kostenlose Bücher