Vom Liebesleben der Stechpalme: Roman (German Edition)
Delfinschwärme heraussprangen, einen Salto in der Luft schlugen
und ins Wasser zurück tauchten. »Wie lange sind Sie schon hier?«
»Ich bin
eben erst gekommen.«
»Aha. Den
Weg wollen Sie wissen? Die Dorfstraße immer hoch, in zehn Minuten sind Sie da. Eine
Villa ist das, Sie werden Augen machen. Herr Hauptmann hat sie vor mehr als 100
Jahren für seine Liebste bauen lassen. Eine Liebe war es, eine große Liebe!«
Schnell
zog ich mein Notizbuch aus der Tasche. »Das höre ich gerne! Toll, ich habe nicht
gedacht, dass ich hier in der Küche auf eine so interessante Liebesgeschichte stoßen
werde. Mein Verleger wird begeistert sein. Eine ganze Reihe werde ich ihm anbieten:
›Polen, das Land, wo sogar deutsche Männerherzen in einer romantischen Tonart schlagen‹.«
Die Wirtin
seufzte verträumt. »Es gibt halt Männer, die keine Kosten scheuen, um das Herz einer
Frau zu erobern. Und die Möbel erst! Die müssen Sie sehen, alle vom Feinsten. Zurzeit
kann man leider nur die untere Etage besichtigen. Die oberen sind geschlossen.«
»Kein Problem
für Herrn Schöne. Er hat sich bestimmt in die kleinste verbotene Ecke geschlichen,
er übt fleißig für seinen neuen Beruf.«
»Wieso?
Herr Schöne ist doch in die andere Richtung gefahren. Mit Alix Robotka.«
Liebe geht
durch den Magen, schmunzelte ich. Die Schnittchen gestern auf der Party waren wohl
so schmackhaft gewesen, dass Frau Robotka herzhaft angebissen hatte. Mein Begleiter
würde demnach sehr beschäftigt sein. Die Gefahr, dass er sich aus Langeweile zu
dicht an meine Fersen heften würde, war gebannt. Nun konnte ich mich voll und ganz
der Wiederbelebung meiner alten Liebe widmen. Und dem Schreiben reizender Liebesgeschichten,
selbstverständlich. Die erste lieferte mir die Wirtin. Zu meinem Erstaunen erwies
sie sich als eine große Kennerin von Hauptmann. Ihr Augenmerk galt zwar nicht seinen
Dramen, aber über sein Leben wusste sie alles. Nach einer lehrreichen Stunde am
Küchentisch rief ich Herrn Pech an und erzählte ihm, dass ich eine hinreißende Geschichte
für die Zeitung fertig hätte. Als Titel schlug ich ihm ›Bauen fürs Herz. Mit Mörtel
und Holzdielen zum Liebesglück‹ vor. Oder etwas Ähnliches.
Seine Stimme
klang neugierig. »Haben Sie in Polen ein Baugrundstück erworben?«
»Aber nein,
nicht ich. Ein großer deutscher Dichter, der Nobelpreisträger Gerhart Hauptmann,
der sich in eine hübsche Schauspielerin verguckt hatte. Womit beweist man die Ernsthaftigkeit
von Liebesabsichten am besten? Indem man ein geräumiges Liebesnest baut. Nichts
anderes hat der verliebte Dichter gemacht. Er hat in Agnetendorf eine malerisch
gelegene Bauparzelle gefunden.«
Herr Pech
hatte schweigend zugehört, dann sagte er entschieden: »Frau Lem, ich brauche keine
alltäglichen Häuslebauer-Storys, sondern berührende Liebesgeschichten. Und zwar
dringend.«
»Wenn Ihnen
die Hauptmann-Story nicht gefällt, dann muss ich weitersuchen. Und dafür brauche
ich Zeit und Geld.«
»Aber wieso?
Ich habe eine Idee. Wie finden Sie das: Eine attraktive, kluge Frau, frisch geschieden,
fährt nach Jahren in ihre alte Heimatstadt im schönen Riesengebirge und trifft dort
ihre Kindergartenliebe. Ich überlasse es Ihrer Fantasie, welche Hindernisse sich
auftürmen, bevor die Story inmitten der heimischen Natur zum glücklichen Ende kommt.«
Mir verschlug
es die Sprache. Hatte ich etwa im Schlaf mit Herrn Pech telefoniert? Oder war ich
so betrunken gewesen, dass ich mich an nichts erinnern konnte? »Wie sind Sie auf
die Idee gekommen?«
»Nun ja,
das passiert mir nicht oft, aber manchmal habe ich eine Art plötzliche Eingebung.
Was sagen Sie dazu?«
»Ich werde
darüber nachdenken.«
»Frau Lem!«
Herr Pech hatte sich jederzeit ausgezeichnet im Griff. »Sie sollen nicht nachdenken,
sondern schreiben.«
»Aber ja
doch.«
»Seien Sie
fleißig.«
»Jawohl!«
Ich legte auf.
Am selben Abend bellte Ben im Garten
und ein Auto hupte so lange vor der Pension, bis ich vor die Haustür ging. Mir wurde
warm ums Herz. Am Steuer eines schweren BMW saß Jan und winkte mir hektisch zu.
Was war los? Die Straße war leer. Kein Mensch zu sehen, bis auf einen Rucksacktouristen
mit einer Wanderkarte in der Hand.
Jan machte
keine Anstalten, auszusteigen. »Wollen wir eine kleine Fahrt machen, Valeska?«
Nochmals
blickte ich die Straße hinunter. Seine Nervosität verstand ich nicht, aber weil
wir in Polen waren, wo Autos manchmal in weniger als einer Minute den Besitzer
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