Vom Mondlicht berührt
antwortete Vincent.
Einen Moment lang herrschte nachdenkliches Schweigen, dann fragte ich: »Und wie geht es dir, Geneviève?«
»Ich lebe von Tag zu Tag«, sagte sie und ihre Augen verloren ihren Glanz. »Charlotte schafft es ganz wunderbar, mich abzulenken. In Paris zu bleiben, in Philippes und meinem Haus, wäre die Hölle gewesen. Der Tapetenwechsel tut mir gut. Und Nizza ist nicht weit. Dort gibt es auch schon seit einiger Zeit eine Gruppe Revenants.« Wir unterhielten uns bis spät in die Nacht. Als ich die Augen fast nicht mehr offen halten konnte, sagte ich: »Tut mir leid, ich bin total fertig. Ich weiß ja, dass ihr nicht schlafen müsst, aber ich brauche dringend ein Bett.«
»Ich hab euer Zimmer ausgesucht«, sagte Charlotte. »Ich zeig’s dir.«
»Ich sehe dann später nach dir.« Vincent zwinkerte mir leidenschaftlich zu. Ich stand auf und folgte Charlotte.
»Wow.« Mehr brachte ich nicht hervor, als ich meine Tasche auf den Boden neben ein riesiges Doppelbett stellte. Es war so ausgerichtet, dass man durch die Fensterfront, die vom Boden bis zur Decke reichte, auf den Hafen sehen konnte.
»Schön, nicht?«, grinste Charlotte.
»Perfekt. Danke, Charlotte«, sagte ich und umarmte sie. »Du fehlst mir so sehr.«
»Du mir auch«, sagte sie. »Ihr alle fehlt mir.« Sie stellte sich ans Fenster und blickte auf das Meer, ihre Traurigkeit war fast greifbar.
»Ruft er manchmal an?«
Charlotte holte tief Luft, dann sagte sie: »Ambrose ruft ständig an. Bloß leider nicht für mich.«
»Wie bitte?«, entfuhr es mir. Dann dämmerte es mir langsam. »Oh nein!«
»Oh doch. Bisher ist es noch harmlos. Bisher. Geneviève glaubt, er sei einfach nett. Besorgt. Aber er hat es mir gestanden. Er ist schon seit Jahrzehnten in sie verliebt. Ambrose dachte, dass er vielleicht nach Philippes Tod die Chance hat, Genevièves Herz zu erobern. Natürlich hat er mich gebeten, nichts zu sagen. Er will nichts überstürzen, er weiß, dass es lange dauern wird, bis sie über den Tod ihres Mannes hinweg ist. Aber er ist einfach so verliebt, dass er permanent wissen will, wie es ihr geht.«
»Oh Gott, Charlotte, das ist ja furchtbar.«
»Für mich – aber vielleicht nicht für die beiden. Wer weiß? Vielleicht verliebt Geneviève sich eines Tages in Ambrose.«
Ich nahm sie wieder in die Arme. Während ich sie so umschlossen hielt, fing sie an zu weinen. »Ach, Kate«, flüsterte sie. »Ich hatte so gehofft, dass er sich für mich entscheidet.«
»Ich auch, Charlotte. Ich hätte es dir so sehr gewünscht. Das ist wirklich nicht fair. Ihr würdet so gut zusammenpassen.«
»Das finde ich auch«, schniefte sie und wischte sich die Tränen weg. »Aber so darf ich nicht denken. Ich liebe Geneviève und ich liebe Ambrose. Wenn die beiden zusammen glücklich werden können, würde ich niemals dazwischenfunken.«
Charlotte drückte mich noch einmal und ließ mich dann allein. Ich zog mich nicht mal um. Den Gedanken wälzend, warum das Leben – oder in Charlottes Fall der Tod – nicht leichter sein konnte, legte ich mich aufs Bett, schloss die Augen und ließ mich vom Geräusch der Wellen in den Schlaf lullen.
A ls ich am nächsten Morgen erwachte, lag Vincent neben mir und sah mir beim Schlafen zu. »Bonjour, mon ange«, sagte er und spielte mit meiner Haarsträhne. Dann drehte er sich zu seinem Nachttisch, schnappte sich etwas aus einer dort stehenden Schüssel und steckte es mir, bevor ich sehen konnte, was es war, in den Mund. Überrascht biss ich zu und schon schmeckte ich die fruchtige Süße einer Erdbeere.
»Was ...«, setzte ich an, konnte mit der Beere im Mund aber nicht sprechen.
Vincent gab sich Mühe, nicht zu lachen. »Als ich volant war, hast du dich so darüber gefreut, dass du dir nicht die Zähne putzen musstest, um mit mir zu sprechen, dass ich dachte, meine Chancen auf einen Kuss direkt nach dem Aufwachen steigen, wenn ich dir diesen demütigenden Morgenatem erspare.«
»Jetzt hab ich Erdbeeratem.«
»Der ist mir am liebsten«, antwortete er mit einem spöttischen Grinsen.
»Willst du mal probieren?«, schlug ich vor und beugte mich zu ihm, um ihn zu küssen.
»Hmm«, sagte er und nickte nachdenklich. »Gut. Sehr gut. Aber nur fürs Protokoll: Ich favorisiere Kate au naturel .«
Ich lachte und schlang meine Arme um ihn. »Es ist so toll, endlich mal neben dir aufzuwachen.«
»Wir haben doch schon Nächte miteinander verbracht«, erwiderte er, »wenn ich volant war.«
»Stimmt, aber da ging
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