Vom Mondlicht berührt
der Tasche.
»Das wird nicht nötig sein«, dröhnte eine tiefe Stimme. Vincent trat durch die offene Tür, seine Miene glich dem Himmel vor einem verheerenden Sturm. Der zweite Numa stürzte auf Vincent los, prallte jedoch an dessen Faust ab, die ihn am Kinn traf. Er fiel auf den Boden und blieb reglos liegen.
Der andere Numa umklammerte meinen Arm wie ein Schraubstock und riss mich zu sich. »Wir unterhalten uns nur ein bisschen mit deiner Freundin. Kein Grund, dich einzumischen.«
»Lass sie los«, sagte Vincent mit leiser Stimme. In dem schnellen Blick, den er mir zuwarf, lag so viel Sorge, dass es mir einen Stich ins Herz versetzte. »Lasst sie beide gehen. Alles, was es zu besprechen gibt, könnt ihr mit mir regeln.«
»Aber wir wollen doch gar nichts von dir«, sagte der Numa, den Mund zu einem spöttischen Grinsen verzogen. »Zumindest im Moment nicht.«
»Was wollt ihr denn von dem Mädchen?«, knurrte Vincent.
»Du meinst, abgesehen von Rache, weil sie unseren früheren Anführer umgebracht hat? Aber das ist gerade nicht wichtig. Sie weiß etwas, was uns sehr interessiert.« Er legte seine freie Hand in mein Genick. »Deshalb rate ich dir, keinen Schritt näher zu kommen, bis sie geantwortet hat. Sonst könnte es sein, dass sich meine Hand selbstständig macht.«
Als ich seine Haut an meiner spürte, hätte ich mich am liebsten übergeben. Es war mehr der daraus resultierende Ekel als meine Panik, die zu einer Reaktion führten; ich zappelte und schaffte es, ihm heftig gegen das Schienbein zu treten. Doch er lachte bloß darüber, verstärkte seinen Griff um meinen Arm und zog mich mit sich in Richtung der Hinterräume, weg von Vincent.
Das metallische Geräusch eines Schwerts, das gezogen wurde, zerschnitt die Stille und ließ meinen Peiniger innehalten. Vincents Augen glühten wie zwei Kohlestücke, während er den bedrohlich aussehenden Säbel vor sich hielt.
Der Numa zuckte vor Schreck und seine Finger bohrten sich schmerzhaft in meine Haut. »Das wagst du nicht. Nicht vor einem Sterblichen!« Er schielte zu Papy, dessen Gesichtsausdruck verriet, dass er, selbst wenn er Teile dieses Wortgefechts nicht gehört haben sollte, die letzten Wörter genau verstanden hatte.
»Und ob ich das wage. Mit Vergnügen sogar«, erwiderte Vincent und schwang die gekrümmte Waffe über seinen Kopf, während er einen Schritt auf uns zu machte.
Der Numa stolperte rückwärts und zerrte mich mit. »Du riskierst, unsere und eure Existenz zu enthüllen ...«, setzte er seine Frage an, sein Gesicht vor Verwirrung ganz verzerrt.
Vincents Stimme war so scharf wie die Klinge in seiner Hand. »Mit sofortiger Wirkung sind alle Regeln vergessen. Im Namen deiner Spezies hast du soeben den Krieg erklärt.«
Mein Angreifer wog die Situation ab. Dann ließ er mich vom einen auf den anderen Moment los. Einen großen Bogen um Vincents Säbel machend, ging er zu seinem Kollegen, der noch immer am Boden lag, aber gerade wieder anfing, sich zu bewegen. Er gab ihm einen kurzen Tritt, um ihn anzutreiben, und schob ihn vor sich her zur Tür. An der Schwelle blieb er noch einmal stehen und blitzte mich an: »Wir sehen uns. Au revoir, Kate Mercier.« Damit machte er auf dem Absatz kehrt und folgte seinem Kumpel auf die Straße.
Sofort kam Leben in meinen Großvater. Er sauste los, um die Ladentür zu verrammeln und verriegeln. Dann zog er einen dicken Vorhang vor die Schaufenster.
»Was wollten sie?«, fragte Vincent eindringlich. Er steckte den Säbel zurück in die Scheide und deckte seinen Mantel darüber.
»Der guérisseur «, flüsterte ich, plötzlich wie gelähmt angesichts des Gedankens, dass meine Nachforschungen – egal, wie gut sie auch gemeint gewesen waren – uns das hier eingehandelt hatten. Jules hatte recht gehabt. Ich war in ihre Welt getreten und mit der Gefahr im Gepäck wieder herausgekommen.
Vincent sah, was in mir vorging, und streckte seine Arme nach mir aus, erstarrte jedoch bei Papys scharfen Worten, die dramatisch nachhallten. »Fassen Sie meine Enkelin nicht an.« Er kam langsam näher. Sehr vorsichtig.
So standen wir im schwach beleuchteten Verkaufsraum. Staub wirbelte spiralförmig in den Lichtstrahlen, die ihren Weg am Rand des Vorhangs vorbei fanden. Reglos standen wir drei da, starrten einander an, wobei wir von antiken Skulpturen beobachtet wurden. Auf dem Gesicht meines Großvaters lag ein Ausdruck, der fremder nicht hätte sein können. Darin fand sich keine Freundlichkeit, keine
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