Vom Mondlicht berührt
Bestimmtes gesucht, sondern einfach alles mitgenommen, das klein genug war. Schlichte Ganoven und keine versierten Kunstdiebe , dachte ich.
Und plötzlich stach mir Panik wie eine glühend heiße Nadel durch das Herz. Ich rannte in den rückwärtigen Flur und sah, dass die Tür zum Lager aufgebrochen worden war und offen stand. Die Kisten waren aufgerissen, ihr Inhalt auf dem Boden verstreut worden. Ich durchstöberte die Bücherkartons, auf der Suche nach Unsterbliche Liebe. Nach und nach holte ich alle Kisten aus dem Lager in den Flur und suchte, bis ich mir ganz sicher sein konnte. Das Buch war weg.
Sofort musste ich an die vergangene Woche denken, als Gwenhaël bei meinem Besuch erwähnt hatte, dass das Buch vor Jahrhunderten in die Hände von Numa gefallen war, die die Familie danach in Gefahr gebracht. »Kein schönes Ereignis«, hatte sie gesagt.
Ich kramte in meiner Tasche nach der Karte, die ihr Sohn mir gegeben hatte. Mit zitternden Händen wählte ich die Nummer. Er hob nach dem ersten Klingeln ab.
»Bran, ich bin’s, Kate Mercier. Ich habe Ihre Mutter letzte Woche besucht.«
»Sie ist fort.« Er klang so weit weg, dass ich mir nicht sicher war, ob ich ihn richtig verstanden hatte.
»Wie bitte?«
»Sie ist fort. Sie waren heute Morgen hier, die Unheilvollen.«
»Oh mein Gott! Die Numa haben sie mitgenommen?« Mir blieb die Luft weg.
»Nein. Als sie kamen, haben wir uns versteckt. Sie haben uns nicht gefunden. Sobald sie weg waren, ist meine Mutter abgereist.«
»Aber wohin?«
»In ein Versteck. Wohin, hat sie mir nicht verraten. Wenn ich es wüsste, könnten die Unheilvollen mir diese Information entlocken. So bin ich wertlos für sie.« »Oh, Bran, das tut mir so leid.«
»Es ist nicht Ihre Schuld, Kate. Es war an der Zeit. Die Dinge geschehen, wenn sie geschehen sollen. Die Zeit des Auserkorenen nähert sich, unsere Dienste sind vonnöten. Ich werde vor Ort bleiben, Kate, und meine Mutter wird zurückkehren. Richten Sie Ihren Freunden aus, dass wir für sie da sind, wenn sie uns brauchen.«
»Bran, ich verstehe kein Wort. Was für ein Auserkorener?«
»Deshalb sind die Numa hinter uns her. In den Büchern steht, dass aus meiner Familie der Seher hervorgehen wird.«
Plötzlich erinnerte ich mich an eine Passage aus dem Buch, die mir völlig schleierhaft geblieben war. Es ging darum, dass der guérisseur einen Auserkorenen erkennen sollte.
»Ich verstehe immer noch –«
»Die Revenants nennen ihn den Meister. Und jemand aus unserer Linie wird ihn identifizieren können.«
Es dauerte eine Weile, bis ich es begriffen hatte, und dann stand mir plötzlich alles erschreckend klar vor Augen. »Ihre Mutter kann den Meister ausfindig machen«, stellte ich zusammenfassend fest. »Deshalb waren die Numa heute bei Ihnen. Denn wenn die Numa herausfinden können, wer der Meister ist, wissen sie, wer sie besiegen wird.«
»Das ist korrekt. Doch wenn sie ihn vorher aufspüren können, werden sie versuchen, sich seiner Kraft zu bemächtigen.«
»Sich seiner Kraft zu bemächtigen?«, fragte ich verwirrt.
»In den Büchern steht geschrieben, dass sich die Kraft des Meisters gewaltsam übertragen lässt. Wenn er gefangen genommen wird, überträgt sich seine Kraft auf denjenigen, der ihn tötet. Das Ergebnis wäre verheerend.« »Und die Numa wollen Ihre Mutter zwingen, die Identität des Meisters zu verraten?«
»Richtig. Doch sie täuschen sich. Nicht meine Mutter wird den Meister erkennen.«
»Was meinen Sie?«
»Sie verfügt über das Wissen verschiedener Vorfahren und kann voraussagen, wann und wo es geschehen wird. Und über ein paar verschlüsselte Hinweise, wer es sein wird. Aber die Gabe des Sehers, also die Gabe, den Meister zu erkennen, wenn er ihr gegenübersteht, die besitzt sie nicht.«
»Dann werden also Sie ihn erkennen?«
»Ich oder einer meiner Nachkommen.«
»Sie haben Nachkommen?«
»Ja.«
Ich atmete aus. »Manche behaupten, mein Freund sei der Meister.«
Es blieb lange still in der Leitung. Schließlich sagte Bran: »Meine Mutter hat mir die Gabe noch nicht vererbt. Wenn es so weit ist, werde ich mich bei Ihnen melden. Kommen Sie dann mit Ihrem Freund vorbei. Wenn ich tatsächlich der Seher sein sollte und er tatsächlich der Meister, werden wir es mit Sicherheit wissen.«
Ich gab ihm meine Handynummer. Und die Telefonnummer meiner Großeltern. Ich hatte nicht den leisesten Schimmer, wann er mich anrufen würde, doch ich schätzte, es könnte noch Jahre dauern.
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