Vom Mondlicht berührt
ihn.
»Ich mag ja übernatürlich sein, aber ich bin nicht aus Stahl, Kate«, sagte er lächelnd. »Und weil du in den letzten vierundzwanzig Stunden deine Meinung sicher nicht geändert hast, habe ich mich lieber mal verdrückt, bevor du aufgewacht bist.« Er gab mir einen langen, innigen Kuss. »Reicht das als Entschädigung?«
»Erst mal ja«, sagte ich und blinzelte ihn kokett an. Er hob grinsend eine Augenbraue. Ich schnappte mir die Tasse Kaffee, die er mir hinhielt, und setzte mich zu den anderen an den Tisch.
Wir genossen den Tag in vollen Zügen. Wir fuhren nach Italien, verließen irgendwann die Küstenstraße und durchquerten in gemütlichem Tempo die schönsten Hügellandschaften, die gespickt waren mit Ruinen aus vergangenen Zeiten. In dem mittelalterlichen Dorf Dolceacqua legten wir eine Pause ein. Geneviève kaufte einen Jahresvorrat an Olivenöl und Charlotte an Amaretti, bevor wir uns in einem kleinen Restaurant mit nur fünf Tischen ein einfaches und doch leckeres Mittagessen einverleibten. Die schöne italienische Sprache perlte so mühelos von Vincents Zunge, dass ich mir plötzlich einen langen Italienurlaub mit ihm wünschte. Mir fiel es so schwer, keine Pläne zu schmieden. Mich daran zu erinnern, dass wir eben kein normales Paar waren wie die anderen, die an den Tischen um uns herum saßen.
Das Wochenende war viel zu schnell vergangen. Kaum waren wir zurück beim Haus, mussten wir schon wieder abreisen. Wir holten unsere Taschen und quetschten uns in den Mini. »Ich würde so gern noch eine Woche bleiben«, sagte ich und umarmte Charlotte und Geneviève zum Abschied, als wir vor dem Flughafen standen.
»Komm schnell wieder. Und sooft du willst!«, sagte Charlotte.
»Mach dir keine Sorgen«, erwiderte Vincent. »Dafür ist sicher nicht viel Überzeugungskraft nötig.«
Wir winkten den beiden ein letztes Mal und überquerten dann die Rollbahn, wo schon Jean-Baptistes Privatjet für uns bereitstand, um uns wieder nach Hause zu bringen. In die Realität.
D en nächsten Tag verbrachte ich wie in Trance – mein Körper in Paris, aber meine Gedanken in Villefranchesur-Mer. Erinnerungen an das Wochenende schwirrten mir durch den Kopf, während ich versuchte, mich auf den Unterricht, meine Hausaufgaben und alles andere zu konzentrieren, das mich davon abhielt, dort zu sein, wo ich eigentlich sein wollte: bei Vincent. Am liebsten in seinen Armen.
Als mich Ambrose, heute von Vincent zu meinem Leibwächter erkoren, nach Hause fuhr, war ich so neben der Spur, dass er mich antippen musste, um mich darauf aufmerksam zu machen, dass mein Telefon klingelte. Es war Papy, seine Stimme klang ungewöhnlich angespannt. »Kate, könntest du direkt von der Schule zu mir in den Laden kommen?«
»Sicher, Papy. Was ist los?«
»Ich brauche ein bisschen Hilfe. Ich erkläre dir alles, wenn du da bist.«
Ambrose parkte direkt gegenüber vom Geschäft und blieb im Wagen sitzen. Als ich Papys Laden betrat, unterhielt er sich gerade mit zwei Männern in Polizeiuniform. Er stellte mich kurz vor. »Meine Herren, das ist meine Enkelin, Kate.« Die Männer nickten. Papy fasste mich am Arm und zog mich ein paar Schritte fort.
»Hier ist letzte Nacht eingebrochen worden.«
»Was?«, fragte ich entsetzt.
»Das ist kein großes Problem, mein Kind, alles war versichert. Es ist nur sehr beunruhigend. Bei mir ist noch nie zuvor eingebrochen worden.«
»Was wurde denn gestohlen?«
»Ein bisschen von allem. Alles, was man leicht mitnehmen konnte – zum Glück aber keine der Skulpturen.« Mit einem Mal sah Papy zehn Jahre älter aus. Er rieb sich mit den Fingerspitzen die Stirn und schloss seine Augen. »Ich hatte gehofft, dass du hier im Laden bleiben kannst, während ich mit aufs Polizeirevier fahre. Sie sind fertig mit ihren Ermittlungen vor Ort, jetzt wartet nur noch der Papierkram.«
»Na klar, Papy«, sagte ich. Kurz darauf verließ er schon mit den beiden Uniformierten das Geschäft. Ich rief Ambrose der Einfachheit halber an und sagte ihm, dass ich für ein oder zwei Stündchen im Laden bleiben müsste, worauf er erwiderte, dass er gerne auf mich warten würde, ich sollte mir ruhig Zeit lassen.
Ich sichtete das Chaos. In den Schaukästen, die zerschlagen worden waren, befand sich kein einziges Exponat mehr. Ich versuchte, mich daran zu erinnern, was darin ausgestellt gewesen war. Antiker Schmuck, kleine griechische Figuren, römisches Glas. Eine sehr willkürliche Auswahl, als hätten die Diebe nichts
Weitere Kostenlose Bücher