Vom Mondlicht berührt
Museumsbesuchen ist das meine liebste Freizeitbeschäftigung.« Ich löffelte den letzten Rest der vorzüglichen Suppe aus dem Teller und leerte dann mein Perrierglas.
»Kate, eins muss ich Euch gestehen«, Violette sah verlegen aus. »Ich habe bisher kein Lichtspielhaus betreten. So lange gibt es sie ja auch noch nicht. Außerdem erschließt sich mir deren Notwendigkeit nicht. Ich verbringe meine Zeit lieber mit Büchern oder Kunst.«
»Aber Filme sind Kunst. Es waren sogar die Franzosen, die ihnen den Titel ›die siebte Kunst‹ verliehen haben.« Ich dachte einen Augenblick lang nach. »Was haben Sie nach dem Mittagessen vor?«
Violette schüttelte leicht beunruhigt den Kopf, als ihr bewusst wurde, worauf sie sich da eingelassen hatte.
Ich fischte unter dem Tisch nach meiner Tasche, zog eine zerfledderte Ausgabe des Pariscope – ein wöchentlich erscheinendes Stadtmagazin – hervor und schlug das Kinoprogramm auf. Ich überflog die Klassiker auf der Suche nach einem Film, der mir angemessen schien, jemandem das erste und ultimative Kinoerlebnis seines Lebens zu bescheren.
Ein paar Stunden später blinzelten wir beim Verlassen des Programmkinos in die grelle Januarsonne. Über uns hing ein Filmplakat von Alfred Hitchcocks Berüchtigt.
»Und?«, fragte ich mit einem Seitenblick zu ihr. »Was sagen Sie jetzt?«
Ein breites Grinsen – ausnahmsweise einmal das Grinsen einer Vierzehnjährigen statt das einer uralten Frau – spannte sich über Violettes Gesicht. »Oh, Kate. Das war umwerfend.« In ihrer Stimme lag Bewunderung. Sie nahm meine Hand. »Wann wiederholen wir das?«
V incent rief mich abends an und entschuldigte sich für sein plötzliches Verschwinden. Er hatte schon eine Reihe von Textnachrichten geschickt, zwischen deren Zeilen deutlich stand, dass er ein schlechtes Gewissen hatte und irgendetwas wiedergutmachen wollte.
»Schon in Ordnung, Vincent. Ich habe den ganzen Tag mit Violette verbracht.«
»Mit Violette?« Obwohl er sich müde anhörte, schwang eine gewisse Überraschung mit.
»Ja, eigentlich sollte sie mich nach Hause begleiten, aber wir sind dann was essen gegangen. Was hat es denn mit diesen Sicherheitsvorkehrungen auf sich? Jules hat gesagt, es würden ein paar Numa um eure Mauern schleichen.«
»Wie sich herausgestellt hat, war das falscher Alarm. Violette hat Jean-Baptiste schon das Signal gegeben, dass er den Alarmzustand nicht aufrechtzuerhalten braucht. Alles ist wie gehabt: unsichtbare Numa, die uns angreifen könnten, wenn wir am wenigsten damit rechnen.«
»Du hattest jedenfalls recht, was Violette angeht. Sie ist wirklich nett. Nur Arthur ist der mit der Menschen-sind-scheiße-Einstellung. Ich werde ihm, wenn möglich, einfach aus dem Weg gehen.« »Das ist sicher eine gute Idee.« Vincent klang erschöpft und abgelenkt. Was auch immer er heute getrieben hatte, es war nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Er klang nicht wie er selbst.
»Vincent, lass uns irgendwann anders weiterreden. Du machst den Eindruck, als wärst du total fertig.«
»Nein, nein. Ich möchte mit dir telefonieren«, sagte er schnell. »Und, was machst du gerade, mon ange?«
»Lesen.«
»Das wundert mich jetzt nicht«, sagte er und ich konnte das Schmunzeln in seiner Stimme hören, »du bist schließlich einer der unersättlichsten Bücherwürmer von ganz Paris. Was liest du denn Schönes?«
Ich blätterte zum Impressum. »Es ist vier Jahre nach deiner Geburt erschienen und war für den überwiegenden Teil deines Lebens beziehungsweise deiner Existenz verboten. Zumindest in der unzensierten Version.«
»1928 gedruckt und über mehrere Jahre indiziert? Hm. Gibt es darin zufällig eine Stelle, in der jemand eins wird mit dem Frieden auf Erden?«
»Vincent! Du springst ja gleich zur Sexszene. Ich bin empört! Bei Lady Chatterleys Liebhaber geht es um weit mehr als um ein Schäferstündchen in der Hütte des Wildhüters«, sagte ich gespielt entrüstet.
»Mmm, ein Schäferstündchen würde ich mir jetzt auch gefallen lassen.«
Mein Herz begann schneller zu schlagen, doch ich gab mir größte Mühe, es meiner Stimme nicht anmerken zu lassen. »Weißt du eigentlich, dass das einer meiner liebsten Tagträume ist? Ein Schäferstündchen? Mit dir natürlich, nicht mit irgendeinem Wildhüter«, spöttelte ich. Ich war gespannt, wie er auf meine Stichelei reagieren würde.
Nach einer Pause fragte er: »Sind deine Großeltern zu Hause?« Und er klang dabei verdächtig heiser.
»Ja.«
Er
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