Vom Mondlicht berührt
kommen. Als ich den Kopf hob, stand Gaspard vor mir und hielt mir eine Flasche Wasser hin.
»Danke«, sagte ich. »Ist irgendwie viel anstrengender, wenn Vincent nicht da ist, um mal für mich einzuspringen.«
»Ist das tatsächlich der Grund, meine Liebe? Du wirkst heute irgendwie ... zerstreut.«
Ich sah ihn eindringlich an. Wahrscheinlich würde es ihm schwerfallen, mir direkt ins Gesicht zu lügen. »Um ehrlich zu sein, habe ich mich gefragt, was Vincent heute Morgen erledigen muss. Jules weiß es anscheinend nicht. Weißt du’s?«, fragte ich so unschuldig wie möglich, konnte jedoch den Anflug eines Schuldgefühls nicht unterdrücken.
Gaspard sah mich vorsichtig an. »Dazu kann ich mich wirklich nicht äußern«, antwortete er förmlich und klang dabei nach neunzehntem Jahrhundert.
Kannst du es nicht oder willst du nicht?, fragte ich mich. Gaspard und Jules wissen etwas, das ich nicht wissen soll. Und Vincent behauptet, es sei nicht wichtig genug, um mit mir darüber zu sprechen. Ich vermutete, dass Vincent mich beschützen wollte. Mich aus einer Situation raushalten, von der ich besser nichts erfahren sollte. Es konnte sich also nur um etwas handeln, das mir nicht gefallen würde, sonst gäbe es ja keinen Anlass für solche Ausflüchte. Ich vertraue ihm, dachte ich. Aber wieso will ich dann laut schreien, nur weil Vincent sich ein Mal so geheimnistuerisch gibt?
»Also gut, ich bin bereit«, sagte ich und schob mich seufzend auf die Füße. Gaspard strich sich bedächtig das Haar aus dem Gesicht und richtete seinen winzigen Pferdeschwanz, bevor er sich erneut in die Ausgangsposition begab. Ich hob mein Schwert auf und – den Schwung meiner gerade aufschäumenden Frustration nutzend – hackte ich drauflos, als wäre Gaspard der wieder zum Leben erweckte Lucien persönlich.
»Na, das gefällt mir doch schon viel besser!«, entfuhr es meinem Trainer mit einem Lächeln.
Wir kämpften noch eine weitere halbe Stunde, bis ich mich aus dem Zweikampf löste und das Schwert an einen der leeren Haken an der Wand hängte. Ich hielt beide Hände in die Luft und schnaufte: »Das reicht mir für heute!«
Von der Treppe aus wurde applaudiert. »Bravo!«, rief Violette. Sie hatte es sich auf den Stufen bequem gemacht, musste also schon eine Weile dort gesessen haben. »Ihr kämpft wirklich herausragend, Kate!«
Ich lächelte und wischte mir mit dem Handtuch, das Gaspard mir zugeworfen hatte, den Schweiß vom Gesicht. »Danke, Violette. Obwohl ich stark annehme, dass Sie das nur aus Höflichkeit sagen. Sie haben schließlich jahrhundertelange Erfahrung.«
Daraufhin lächelte sie schüchtern, als hätte ich sie ertappt. »Ich sage das nicht, um Euch zu schmeicheln. In Anbetracht Eurer kurzen Unterrichtung, müsst Ihr wahrlich ein Naturtalent sein.«
»Ganz meine Meinung«, bestätigte Gaspard. »Violette, kann ich irgendwie behilflich sein?«, fragte er.
»Nein, nein. Jules wollte in sein Atelier, deshalb bot ich an, Kate nach Hause zu begleiten«, antwortete sie. »Lasst Euch nur Zeit«, fügte sie an mich gerichtet hinzu.
»Danke«, sagte ich, während ich meinen Oberkörper aus dem Anzug schälte und mein »I Heart New York« Trägerhemdchen zum Vorschein kam. Ich hatte so sehr geschwitzt, dass das feste Material langsam Platzangst bei mir auslöste. »Und vielen Dank für das Buch und die Blumen.«
»Arthurs Verhalten war absolut nicht zu tolerieren, ich hatte das Bedürfnis, das wiedergutzumachen. Habt Ihr die Botschaft: entschlüsselt?«
»Ja«, sagte ich und pellte mich aus der Hose. Darunter trug ich graue Joggingshorts. »Purpurfarbene Hyazinthen sagen ›Entschuldigung‹ und gelbe Rosen symbolisieren ›Freundschaft‹.«
»Sehr gut«, freute sich Violette. »Mit den Hyazinthen möchte ich für Arthurs Verhalten um Verzeihung bitten. Und die Rosen stehen für meine Hoffnung, dass wir uns anfreunden.«
Obwohl ich nicht übereifrig wirken wollte, konnte ich nicht verhindern, dass sich ein breites Grinsen über mein Gesicht zog. Charlottes Abreise war erst knapp über eine Woche her, aber mich plagte schon jetzt ein schlimmer Freundinnenentzug. Natürlich hatte ich Georgia, doch die war so sehr in ihr eigenes Leben eingebunden, dass wenig Zeit für mich blieb. Normalerweise füllte Vincent diese Lücken nur zu gern aus, aber gerade war er ja sonst wo unterwegs ... »Statt einfach zu mir nach Hause zu laufen ... Wollen wir nicht lieber irgendwo einen Happen essen gehen, sobald ich geduscht habe?«,
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