Vom Mondlicht berührt
so schlenderten wir gemeinsam zu La Maison.
»Er muss etwas für Jean-Baptiste erledigen«, antwortete er und schaute dabei stur auf den Bürgersteig vor uns, als hätte er Angst, ich könnte sonst seine Gedanken lesen – weshalb bei mir die Alarmglocken schrillten.
Sofort musste ich wieder an die Hausbesprechung und diesen komischen Blickwechsel zwischen Vincent und JB denken. Und wie ausweichend er reagiert hatte, als ich ihn am Vorabend darauf ansprach. Da war definitiv etwas im Busch, von dem ich nichts wissen sollte.
»Und er war der Meinung, ich finde den Weg zu euch nicht allein?«, fragte ich mit gespielter Lässigkeit.
»Na ja ... Deine menschlich bedingte Verwundbarkeit macht Vincent eben ein wenig nervös. Und weil die Numa jederzeit angreifen könnten, ist der gute Herr zurzeit besonders besorgt.«
»Hältst du das für eine Überreaktion? Was meine Verwundbarkeit angeht, meine ich«, fragte ich mit einem Seitenblick auf ihn. Okay, ich bohrte nach. Aber irgendeine weiterführende Information musste doch aus Jules herauszukitzeln sein.
»Kate, du kämpfst absolut hammermäßig. Trotzdem bist du aus Fleisch und Blut – nicht wiederzubelebendem Fleisch und Blut. Will sagen, ich bin in diesem Fall ganz Vincents Meinung.«
Ich nickte und wünschte mir mit aller Macht, ich wäre so unverletzlich wie sie. So wie Charlotte. Oder in diesem Fall selbst wie Violette: Sie war vierzehn, aber jeder verhielt sich ihr gegenüber, als wäre sie aus Stahl. Respekt, überlegte ich im Stillen, Respekt kann man schlecht verlangen, wenn etwas so Winziges wie eine Patrone einen ins Jenseits befördern kann. Für immer.
»Heißt das, ich werde nun auch auf dem gesamten Schulweg eskortiert? Hin und zurück?«, wollte ich wissen und fragte mich, wie weit Vincent noch gehen würde.
»Non«, lachte Jules. »Violette hat gestern einen Tipp bekommen, dass die Numa etwas Vorhaben. Sie vermutet, dass sie das Haus observieren. Und weil du heute zu uns unterwegs bist, dachte Vincent, es wäre besser, wenn dich jemand begleitet. Und keine Sorge: Nach deiner Stunde heute kannst du dich selbst verteidigen.« Er knuffte mich leicht am Arm. Ich schlug zurück. Mit voller Kraft. »Du liebes bisschen, du kannst ja ganz schön fest hauen«, zog er mich auf. Das war der Auftakt eines Spaßkämpfchens, mit dem wir erst aufhörten, als wir angekommen waren.
Gaspard erwartete mich in der Trainingshalle, er machte ein paar Dehnübungen, die verdächtig nach Tai-Chi aussahen. Er beendete seine letzte Figur, verbeugte sich leicht vor mir und unterhielt sich mit Jules, während ich in mein gepolstertes Kampfdress schlüpfte. Es war aus einem schiefergrauen Material gemacht, das an Kevlar erinnerte und mich vor den schärferen Klingen aus dem Waffenarsenal der Revenants schützen sollte. Ich hatte ein schlechtes Gewissen, weil der klassische weiße Fechtanzug, den Papy für mich gekauft hatte, ungenutzt in der Waffenkammer hing. Doch mein Hightech-Kampfanzug schützte mich einfach besser vor den kleinen Verletzungen, die den Revenants nichts ausmachen würden. Auch wenn ich darin Kate Beckinsales Figur in Underworld erschreckend ähnlich sah.
Jules pfiff anerkennend, als ich die Halle durchquerte, um das Schwert entgegenzunehmen, das Gaspard mir reichte. »Kate, du siehst verdammt ... tödlich aus«, raunte er.
»Das werte ich jetzt mal als Kompliment«, sagte ich grinsend, weil ich wusste, dass dieser Anzug meine Vorzüge unterstrich. Zu schade, dass ich ihn nie außerhalb dieser Halle trug. Vielleicht sollte ich an Halloween als Vampirjägerin gehen , dachte ich.
»Ich würde nur allzu gern bleiben und dir beim Kämpfen zugucken«, sagte Jules ebenfalls grinsend, »aber ich muss weiter. Bin in ’ner Stunde wieder da, um dich abzuholen.« Er joggte die Treppe hoch und schloss die Tür hinter sich.
Wäre ich ihm bloß hinterhergelaufen! In der nächsten halben Stunde zeigte ich die fraglos schlechteste Leistung aller Zeiten. Ich war nicht nur abgelenkt, weil meine Gedanken um das kreisten, was Vincent wohl gerade machte, sondern außerdem, weil ich es gewöhnt war, mit ihm und Gaspard gleichzeitig zu trainieren. Ohne Vincent, der alle paar Minuten einsprang, damit ich wieder zu Atem kam, musste ich Gaspard irgendwann signalisieren, dass ich eine Pause brauchte. »Auszeit«, rief ich atemlos und er senkte das Schwert.
Ich taumelte zur Wand, ließ mich auf den Boden sinken und klemmte meinen Kopf zwischen die Knie, um wieder zu Luft zu
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