Vom Mondlicht berührt
übergehen.
Vincent setzte sich aufrecht hin. »Kate«, sagte er, nahm meine Hand, legte sie in seinen Schoß und drückte sie. »Es geht dabei nicht um mangelndes Vertrauen oder den Gedanken, dass du nicht damit klarkommst. Ich bewundere deine Stärke. Wie soll ich das sagen?« Er zögerte. »Ich weiß einfach, dass es dir nicht gefallen wird. Es ist ein Experiment. Und weil ich nicht mal weiß, ob ich damit überhaupt Erfolg haben werde, wollte ich dir darüber lieber nichts erzählen.«
»Ich kann das schon verkraften, Vincent. Da bin ich mir sicher.«
»Ich bin mir auch sicher, dass du das verkraften kannst, Kate.« Mittlerweile sah er mich fast flehend an. »Das musst du mir glauben. Aber ich habe jetzt schon Schwierigkeiten mit all meinen Eigenschaften, die dir den Schlaf rauben. Und das ist wirklich keine schöne Sache, glaub mir. Wenn du alle Einzelheiten wüsstest, würdest du den Respekt vor mir verlieren. Deshalb wollte ich es erst mal ausprobieren, um zu gucken, ob es überhaupt funktioniert. Wenn nicht, dann hake ich es ab und suche weiter nach einer Lösung für unser Problem. Aber wenn es funktioniert – und das ist immer noch die große Frage –, dann will ich dir das Ergebnis erst präsentieren, wenn es wirklich so weit ist. Du sollst in der Lage sein, die Vorzüge gegen die unangenehmen Komponenten abzuwägen, um dann zu entscheiden, ob ich damit weitermachen soll.«
Er beobachtete meine Reaktion ganz genau.
»Wie lange wird das Experiment noch dauern?«, fragte ich, obwohl ich mir gleichzeitig dafür in den Hintern trat, dass ich nicht weiter nachbohrte.
»Gaspard meint, wir können nach zwei Ruhezyklen eine sichere Aussage wagen. Das heißt, es liegen jetzt noch etwa sechs Wochen vor mir.«
Ich schaute ihm tief in die Augen, in denen nichts als seine Aufrichtigkeit zu sehen war. Seine absolute Ehrlichkeit. Und seine tiefe Entschlossenheit, alles zu versuchen, unsere Beziehung aufrechtzuerhalten.
Ich schloss meine Augen und atmete tief durch. »Gut. Ich vertraue dir. Aber bitte, bring dich nicht in Gefahr.«
»Danke, Kate«, sagte er, lehnte sich mit dem Rücken an die Wand, ließ meine Hand aber nicht los. Eine Weile blieb er so und starrte an die Decke, dann sah er wieder mich an. »Es gibt da etwas, das ich dich auch schon lange fragen wollte. Ist aber ein ganz anderes Thema.«
Ich grinste boshaft. »Frag ruhig, ich erzähle dir alles.«
»Wieso hast du den Kontakt zu deinen Freunden in New York abgebrochen?«
Mein Grinsen verschwand. »Das nun gerade nicht.«
»Kate, meine Freunde sind deine Freunde, das weißt du. Und ich verstehe, dass du keine Lust hast, dich mit deinen Mitschülern zu treffen. Du hast gesagt, da ist niemand Interessantes dabei. Außerdem ist mir auch klar, dass du dich nicht mit jemandem eng anfreunden willst, der nach dem Schulabschluss garantiert wieder in sein Heimatland zurückkehren wird.
Aber hier geht es um deine Sandkastenfreunde, die Menschen, mit denen du aufgewachsen bist. Was und wie du von ihnen erzählt hast, klingt einfach so, als wärt ihr euch sehr nah gewesen.«
»Waren wir auch«, sagte ich matt. »Weil ich nichts mehr von mir habe hören lassen, haben sie sogar Mamie kontaktiert. Ich habe durch sie ausrichten lassen, dass mir nicht nach Schreiben ist. Die hassen mich jetzt sicher alle.«
»Ich schätze, letztes Jahr hatte jeder Verständnis für dein Schweigen. Das war keine leichte Zeit für dich. Womit ich nicht sagen will, dass man den Verlust seiner Eltern je wirklich überwindet. Aber dir geht es jetzt doch besser. Du kommst klar mit dem Leben.«
»Sehr fraglich, schließlich hänge ich die meiste Zeit mit lauter Toten rum.« Ich warf ihm einen kurzen Blick zu, um sicherzugehen, dass er mich nicht falsch verstanden hatte. Erleichtert bemerkte ich sein schiefes Grinsen.
»Kate, du lebst ein wenig zwischen den Welten. Du hast selbst mal gesagt, dass du das Gefühl hast, nirgendwo richtig dazuzugehören. Wie hattest du das noch ausgedrückt? ›Nicht ganz amerikanisch, nicht ganz französisch.‹ Aber das heißt doch nicht, dass du die Freundschaften von früher einfach so wegwerfen kannst. Sie sind Teil deiner Vergangenheit, Kate. Und wir alle brauchen eine Vergangenheit, in der sich die Gegenwart verankern lässt. Man kann nicht nur im Hier und Jetzt leben.«
»Wieso nicht?«, blaffte ich ihn an, überrascht von der Heftigkeit, die in meiner Stimme lag. »Weißt du überhaupt, wovon meine Vergangenheit geprägt ist,
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