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Vom Mondlicht berührt

Titel: Vom Mondlicht berührt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Plum
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räusperte sich. »Wie gut, sonst müsste ich nämlich auf der Stelle zu dir kommen und über dich herfallen. Wie wird das in dem Buch noch mal so schön genannt: Schänden, oder?«
    Ich kicherte. »Bisher ist mir ein solcher Begriff noch nicht untergekommen. Aber egal, ob wilde Sexorgien oder romantische Schäferstündchen ... Ich glaube nicht, dass ich für so etwas zu haben bin, schließlich erwartet mich morgen ein scharfer untoter Typ zu einem Rendezvous.«
    »Ich versteh schon. Ein sehr kluger Themenwechsel.« Er lachte. »Du hast es also nicht vergessen?« Ich konnte sein erschöpftes Lächeln förmlich durch die Leitung hören.
    »Wie, bitte schön, könnte ich vergessen, dass ich mit dir verabredet bin, um das Bolschoi-Ballett in der Opera Garnier zu sehen? Und zwar in einer Privatloge? Nein, das zu vergessen ist ganz unmöglich.«
    »Gut«, sagte er. »Ich hol dich um sechs ab.« Seine letzten Worte waren kaum noch hörbar. Er klang nicht nur müde, er klang, als hätte er Schmerzen. Was hatte er heute bloß gemacht? Mittlerweile war ich nicht mehr neugierig, sondern ernsthaft besorgt.
    »Bis dann. Ich kann’s kaum erwarten ...«, sagte ich und nach dem Auflegen fügte ich gedanklich hinzu: herauszufinden, was dich beschäftigt. Wenn er morgen Abend noch genauso erschöpft sein würde, konnte ich ihn vielleicht zum Reden bringen.
    Vincent erwartete mich in seinem Smoking vor der Wohnungstür, das schwarze Haar in Wellen aus der Stirn gekämmt. Alles erinnerte an den Abend meines Geburtstags: Er im Smoking, ich in dem blauen, asiatisch gemusterten Seidenkleid, das er für mich hatte anfertigen lassen, darüber Mamies bodenlanger schwarzer Kapuzenmantel. Vincents Augen leuchteten anerkennend, sobald er mich erblickte, und als wir auf die Straße traten, küsste er mich erst einmal lang und ausgiebig.
    Wir parkten direkt an der Oper. Obwohl ich dieses imposante Gebäude schon oft gesehen hatte – als Touristin oder als Spaziergängerin bei Tag –, blieb mir bei seinem Anblick jedes Mal wieder die Luft weg. Es sah aus wie eine große marmorne Hochzeitstorte. Heute Abend hatte es sich in ein Märchenschloss verwandelt, seine warmen gelben Lichter glühten magisch durch die frostige Winternacht. Arm in Arm folgten wir wohlhabenden Gästen in teurer Abendgarderobe durch das gewaltige Eingangsportal.
    »Warst du schon einmal hier?«, fragte ich Vincent, als wir ins Grand Foyer kamen.
    »Ein paar Mal, als Ersatz für Gaspard oder Jean-Baptiste, wenn einer der beiden gerade ruhte. Sie haben immer Saison-Abonnements.«
    In der Mitte des Foyers angekommen, legte ich den Kopf in den Nacken. »Oh«, entfuhr es mir. Diese Pracht raubte mir mein Sprachvermögen. Die Eingangshalle war ein gigantischer Saal, der in einem wilden Durcheinander von Kunststilen dekoriert war. Jeder einzelne Zentimeter wurde von Unmengen Gold, Marmor, Mosaiken oder Kristall geschmückt, der Boden, die Wände, die Säulen und die Decke. An jedem anderen Ort hätte das völlig überladen gewirkt, doch hier war es einfach nur atemberaubend.
    Vincent führte mich entlang des linken Geländers der großen Marmortreppe in den ersten Stock und von dort durch einen Flur, der in einem Bogen verlief und an dessen einer Seite sich Dutzende kleiner Holztüren befanden. Wir blieben vor Nummer neunzehn stehen.
    »Ich habe nicht die königliche Loge reserviert«, erklärte Vincent und griff nach dem Türknauf. »Ich dachte mir, dir würde es nicht gefallen, so zur Schau gestellt zu werden. Alle verrenken sich immer die Hälse, um herauszufinden, wer dort sitzt. Diese hier ist eigentlich für zehn Zuschauer gedacht. Ich habe sie komplett gebucht und die überzähligen Stühle entfernen lassen.«
    Unsicherheit huschte über sein Gesicht, worüber ich nur ungläubig den Kopf schütteln konnte. »Vincent! Ich weiß doch überhaupt nicht, was mich erwartet. Einfach hier zu sein, ist für mich schon unvorstellbar. Meinetwegen könnten wir die billigsten Plätze haben und ich wäre trotzdem hin und weg.«
    Beruhigt öffnete er die Tür, hinter der sich ein schmaler, mit rotem Samt ausgekleideter Gang befand. An einer Wand hing ein ovaler Spiegel, an der anderen stand eine Chaiselongue, über der eine altertümliche, wenngleich elektrische Wandleuchte mit kerzenförmigen Glühbirnen angebracht war. Vincent nahm mir meinen Mantel ab und legte ihn auf die Chaiselongue. Am Ende des tunnelähnlichen Gangs lag ein Balkon, der sich zum Zuschauerraum hin öffnete. Zwei mit

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