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Vom Mondlicht berührt

Titel: Vom Mondlicht berührt Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Amy Plum
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Vincent?«
    »Von Verlust und Tod.« Er sprach ganz sanft. »Meine auch.«
    »Vincent, all meine Erinnerungen sind direkt mit meiner Familie verknüpft, mit meinen Eltern. Jedes Mal wenn ich nach dem Umzug von Brooklyn hierher von meinen Freunden gehört habe, hat es mich wieder in dieses alte Leben gerissen. Alles, was sie sagten, erinnerte mich an zu Hause. Und das hat wahnsinnig wehgetan, das kannst du dir gar nicht vorstellen.« Sofort schaute ich ihm prüfend ins Gesicht, weil mir siedend heiß einfiel, dass seine Eltern und seine Verlobte vor seinen Augen ermordet worden waren. Er sah aber nicht wütend aus. Im Gegenteil, er sah sogar noch liebevoller und mitfühlender aus als sonst.
    »Na gut, das kannst du dir sehr wohl vorstellen«, fuhr ich fort. »Aber ich bin nicht sadistisch veranlagt. Ich muss mir nicht regelmäßig selbst wehtun. Das hält mich weder körperlich noch geistig gesund. Ich kann gerade den Kontakt nicht wieder aufnehmen, der Schmerz ist noch zu groß.«
    Vincent blickte auf seine Hände und schien gut zu überlegen, was er als Nächstes sagen sollte, ehe er mir erneut in die Augen sah. Ohne ein Wort zeichnete er mit seinem Zeigefinger so voller Hingabe meinen Unterkiefer nach, als wollte er eine topografische Karte meines Gesichts anfertigen. Ich nahm seine Hand in meine Hände und legte sie in meinen Schoß, umklammerte sie trostsuchend.
    »Ich verstehe dich, Kate. Glaub mir das bitte. Ich wollte dir nur eine Anregung geben, etwas zum Nachdenken. Als ich das erste Mal gestorben bin, gab es natürlich eine Todesanzeige in der Zeitung. Alle wussten es. Ich konnte gar nicht zu meiner Gemeinde und den Menschen, die ich liebte, zurückkehren. Das hat mir sehr wehgetan. Über Jahre hinweg bin ich Hélènes Vater und ihrer Schwester buchstäblich hinterhergeschlichen und habe mich davon überzeugt, dass es ihnen gut geht. Ich konnte mich nicht zeigen, nie. Aber ich habe sie beobachtet.
    Nach dem Tod ihres Vaters legte ich anonym Blumen auf sein Grab. Ihre Schwester Brigitte starb bei der Geburt ihres Sohnes, aber auch ihn habe ich beobachtet. Er lebt mit seiner Familie in Südfrankreich. Ich habe alle Familienmitglieder gesehen. Seine Tochter sieht genauso aus wie ihre Großmutter. Egal, wie merkwürdig das jetzt klingt, aber das Wissen um sie erdet mich. Sie sind eine Verbindung zu meiner Vergangenheit, und das erdet mich.
    Aber ich hätte alles für die Möglichkeit gegeben, mit Brigitte, ihrem Vater und meinen Freunden von damals in Kontakt zu bleiben. Ganz egal, wie schmerzhaft die Erinnerungen auch gewesen wären, die das bei mir ausgelöst hätte. Ich hatte keine Wahl, du hast eine. Vielleicht ist es noch zu früh, aber ich hoffe sehr, dass du deine Meinung irgendwann änderst. Mir ist aufgefallen, dass es dich immer bewegt, wenn du deine Freunde erwähnst. Vielleicht macht es dich ja sogar glücklicher, wieder Kontakt zu ihnen zu haben.«
    Der Schmerz, der anfangs nur zaghaft in mir aufgestiegen war, explodierte nun bei diesen Worten. »Ich bin glücklich, Vincent«, knurrte ich mit zusammengebissenen Zähnen. Er schaute mich mit erhobener Augenbraue an. Da erst fiel mir auf, wie lächerlich das geklungen haben musste. Mühevoll presste ich die Lippen aufeinander, doch dann platzte das Lachen nur so aus mir heraus. Ich warf mich in seine Arme und merkte, dass ich ihn in genau diesem Moment mehr liebte als je zuvor. Er war besorgt. Er kümmerte sich um mich. Nicht nur weil ich seine Freundin war. Sondern weil er wollte, dass ich glücklich war, auch ohne ihn.
    Der Vorhang hob sich, doch wir rührten uns nicht. Wir verbrachten den Rest der Vorstellung damit, uns zu küssen, zusammen zu lachen und hin und wieder einen kurzen Blick auf die Bühne zu werfen, nur um uns dann erneut auf der Chaiselongue unseren Küssen hinzugeben.
    Als ich an dem Abend nach Hause kam, holte ich meinen Laptop aus der Schreibtischschublade und schaltete ihn ein. Mit meiner neuen E-Mail-Adresse, die ich eingerichtet hatte, um mit Charlotte zu mailen, schrieb ich eine Nachricht an meine drei ältesten Freundinnen. Ich bin's, Kate , schrieb ich. Es tut mir sehr leid, dass ich mich so lange nicht gemeldet habe. Ich hab euch alle lieb, aber es tut mir immer noch zu weh, an früher zu denken. Obwohl ihr das sicher nicht wollt, erinnert ihr mich jedes Mal so schmerzlich an das, was war. Ich wischte mir eine Träne von der Wange, während ich einen letzten Satz tippte und dann auf ›senden‹ klickte.
    Bitte habt noch

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