Vom Mondlicht berührt
rufe übrigens an, weil ... weil ich für heute Abend absagen muss.« Mein Herz sank. Nach unserer aufwühlenden Unterhaltung vom Sonntag hatte ich so sehr einem Treffen in Fleisch und Blut entgegengefiebert, um mir die Bestätigung zu verschaffen, dass das nicht nur ein Traum gewesen war.
»Kann das – was auch immer du vorhast – nicht bis morgen warten?« »Nein, Kate, es tut mir sehr leid. Es ist so wichtig, dass ich mich darum kümmern muss, sobald ich dazu imstande bin.«
Allmählich war ich mit meiner Geduld am Ende, was dieses Experiment anging. »Was willst du denn jetzt hören?«, blaffte ich und seufzte dann. »Pass aber bitte auf dich auf, was immer du auch vorhast.«
»Danke für dein Verständnis.« Vincents Stimme klang entschuldigend.
»Aber ich verstehe leider gar nichts, Vincent.«
»Wirst du. Bald. Alles wird gut, ich schwör’s dir.«
Ja, alles wird gut. Weil ich eine andere Lösung finden werde.
Meine schlechte Laune besserte sich auch in der Schule nicht das geringste bisschen. Als die letzte Stunde vorbei war, düste ich sofort zum Flohmarkt. Inklusive Busfahrt und zweimal Umsteigen mit der Metro war ich eine geschlagene Stunde unterwegs, bevor ich endlich vor dem kleinen grünen Laden stand, der ... geschlossen war.
Ich hatte im Internet nach Le Corbeau gesucht und nichts über dieses Geschäft gefunden. Selbst bei Google Maps war ich die aufgelisteten Betriebe durchgegangen, die in dieser Gegend angezeigt wurden. Bei Street View konnte man zwar die Fassade sehen, doch der Laden war nicht markiert. Auch bei den Gelben Seiten wurde ich nicht fündig. Online existierte das Geschäft gar nicht.
Eigentlich hatte ich vorher anrufen wollen, um sicherzugehen, dass wirklich geöffnet war. Das ist immer eine gute Idee in Frankreich. Die Ladenbesitzer waren geradezu unberechenbar und öffneten und schlossen ihre Geschäfte nach Belieben. Unzählige Male schon hatte ich mich quer durch die Stadt gequält, nur um dann vor verschlossenen Türen zu stehen, an denen eine Notiz mit den Worten Komme gleich wieder hing. Oder gar nichts. So wie heute.
In der Boutique im Nachbarhaus brannte jedoch Licht. Ein Glöckchen klingelte über meinem Kopf, als ich die Tür öffnete. Gleichzeitig schlug mir ein intensiver Geruch entgegen – so musste es in einem alten Koffer riechen.
»Bonjour, mademoiselle.« Die Stimme drang durch einen Ständer mit Reifröcken und ausgefallenen Kleidern. Dann erschien das Gesicht der Frau, die ich letztens beim Rauchen auf der Straße getroffen hatte, oberhalb des Ständers. Sie sah mich erwartungsvoll an.
»Guten Tag. Ich wollte nur fragen, ob Sie mir etwas über das Geschäft nebenan sagen können. Le Corbeau oder wie es heißt. Wann haben die geöffnet?«
Die Frau trat zu mir und rollte mit den Augen. »Das weiß man nie so genau, wann sie offen haben. Sie haben mich gebeten, ein Auge auf den Laden zu haben, während sie unterwegs sind. Sie sind gestern für ein, zwei Wochen verreist. Vielleicht auch länger.«
Zwei Wochen? So lange wollte ich nicht warten. Aber hatte ich eine andere Wahl? »Haben Sie eine Telefonnummer? Dann kann ich das nächste Mal anrufen, bevor ich wieder umsonst herkomme.«
»Nein, nicht dass ich wüsste. Im Telefonbuch stehen sie auch nicht.«
Ich seufzte. Dieser Ausflug war ja mal eine grandiose Zeitverschwendung. Oder? »Können Sie mir etwas über die Inhaber erzählen?«, fragte ich, entschlossen, zumindest etwas herauszufinden. Irgendetwas.
Die Frau stemmte sich bestimmt die Hände in die Hüften, eine Pose, die quasi nach Klatschweib schrie. »Der Laden gehört einem Mann und seiner schon etwas betagten Mutter. Wenn Sie mich fragen, die sind ein bisschen ...« Sie hob eine Hand und machte mit dem Finger eine Drehbewegung an der Schläfe.
»Sind sie ... guérisseurs?«, fragte ich zögernd.
Die Frau richtete sich auf, die Augenbrauen hochgezogen. Langsam schien sie zu begreifen. »Deshalb wollen Sie also so verbissen Kontakt zu ihnen aufnehmen. Was plagt Sie denn? Migräne? Oder Warzen?«
»Wie bitte?«
»Migräne und Warzen sind die Spezialgebiete der Dame.«
»Oh«, sagte ich, während mein Herz wie wild klopfte. In dem Reliquienladen arbeitete also wirklich ein guérisseur. Ich war auf dem richtigen Weg! Meine Gedanken galoppierten davon und es kostete mich ziemliche Mühe, sie einzufangen und mich auf das Gespräch zu konzentrieren. »Äh ... Migräne. Ich hab Migräne.«
»Dann müssen Sie wirklich wiederkommen, die Frau
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