Vom Mondlicht berührt
ebenfalls hin und wieder auf dem Markt fanden.
Ich überflog alle Schilder auf der Suche nach Zeichnungen oder Symbolen, in denen ein Strick auftauchte. Vielleicht war es ja eine Werkstatt , in der mal ein Strickmacher gearbeitet hat , dachte ich. Doch über keinem der Läden konnte ich das gewünschte Objekt entdecken. Schließlich fragte ich einen der Verkäufer, ob ihm vielleicht schon mal ein Schild oder ein ähnlicher Gegenstand aufgefallen war, der einen Strick zeigte. Er rieb sich das Kinn und schüttelte dann den Kopf. »Non.«
»Gibt es denn hier jemanden, der auf Reliquien spezialisiert ist? Der christliche Gegenstände anbietet?«, fragte ich.
Wieder dachte er einen Moment nach. »Wenn Sie in diese Richtung weitergehen, kommen Sie zu einem Laden, der nicht mehr zum Markt gehört. Es ist ein richtiges Geschäft mit regulären Öffnungszeiten. Ich bezweifle, dass es an einem Sonntag geöffnet hat, aber Sie können es ja trotzdem mal probieren.« Er erklärte mir detailliert den Weg, obwohl der Laden wirklich nur ein paar Blocks entfernt lag. Ich bedankte mich mit einem Lächeln und schlug die Richtung ein, die er mir gezeigt hatte.
Das Geschäft befand sich an einer Straßenecke und war ziemlich klein. Auf der einen Seite grenzte ein Laden mit antiken Puppen an, in der Nebenstraße um die Ecke wurde in einer Boutique Retromode angeboten.
Die Fassade war flaschengrün und die Schaufenster waren gesäumt von Regalen, in denen sich biblische Figuren aufreihten, aus jedem erdenklichen Material gefertigt: Holz, Marmor, Metall, ja sogar Knochen. Es gab Kruzifixe in allen Größen und Flaschen mit Wasser »aus der heiligen Quelle von Lourdes«, wie die Etiketten verrieten. Der eigentliche Verkaufsraum lag im Dunkeln. Der Mann vom Markt hatte richtig gelegen, der Laden hatte geschlossen.
Ich trat ein paar Schritte zurück, um mir das Gebäude besser ansehen zu können. Da fiel mir ein altes, verwittertes Holzschild auf, das über der Tür hing. In das Holz war ein Rabe geschnitzt, der auf dem Schriftzug le corbeau hockte. Ich hatte das vage Gefühl, an etwas erinnert zu werden, konnte den Gedanken aber nicht greifen.
Als ich es noch einmal las, tauchten plötzlich die schwer zu entziffernden, gotischen Buchstaben aus Unsterbliche Liebe vor meinem inneren Auge auf. Und dann machte es plötzlich klick und mein Herz begann zu rasen. Le corbeau , der Rabe. Nicht le cordeau , der Strick. Ich hatte die alten Buchstaben verwechselt und die ganze Zeit nach dem falschen Schild gesucht!
War das wirklich der Ort, den ich suchte? Hier wurden Reliquien verkauft. Unter dem Zeichen des Raben. Bei den Audoniens. Aber dieses Gebäude war niemals älter als ein paar Hundert Jahre.
Ich wusste nicht, was ich davon halten sollte, konnte jedoch nichts weiter unternehmen. Der Laden war zu. An der Tür fanden sich keine Angaben zu Öffnungszeiten und auch keine Telefonnummer des Inhabers. Das ganze Gebäude hatte nicht mal eine Hausnummer. Deshalb prüfte ich die Hausnummer des Puppenladens und die des gegenüberliegenden Hauses, um daraus auf die Adresse des Ladens zu schließen, und schrieb sie mir auf.
Eine Frau trat aus der Boutique auf die Straße und zündete sich eine Zigarette an. Sie warf mir einen Blick zu. »Er ist am Dienstag wieder da«, rief sie. »Die haben dienstags bis freitags geöffnet.«
»Vielen lieben Dank!«, rief ich zurück.
Also musste ich noch zwei Tage warten. Und in ein, zwei Stunden würde Vincent von der Patrouille zurückkehren. Ich hoffe mal, es macht ihm nichts aus, sich die Zeit bei mir im Zimmer zu vertreiben, dachte ich. Nach diesem hektischen Wochenende warteten nämlich noch die Hausaufgaben auf mich.
A m Dienstagmorgen fing mein Handy genau im gleichen Moment an zu klingeln wie mein Wecker. Nach einem kurzen Blick aufs Display nahm ich den Anruf entgegen. »Guten Morgen, der Herr. Wie fühlst du dich?«, fragte ich.
»Lebendig. Endlich wieder. Ich warte schon eine Stunde darauf, dich anzurufen. Aber ich wollte dich nicht wecken, bevor du aufstehen musst.«
Ich lächelte. »Ich schaff’s leider nicht, noch schnell vor der Schule vorbeizukommen. Und du bist sicher zu schwach, um dich zu bewegen, oder? Geht es dir denn besser?«
»Aufgestanden bin ich noch nicht, ich habe nur einen Blick in den Spiegel geworfen und ich sehe wieder normal aus.«
»Das ist eine große Erleichterung.«
»Ja, finde ich auch. Aber ich will das durchziehen. Jetzt sind es nur noch vier Wochen, Kate. Ich
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